Die Kreuzfahrerin
einmal große Augen und rannten schreiend davon. Ursula drehte sich um und wusste augenblicklich, dass das Gesindel nicht vor ihr und ihrem Stock geflüchtet war. Vor ihr stand ein großer Mann, dessen Haut an Gesicht und Händen, mehr war nicht zu sehen, fast schwarz war. Ursula hatte davon gehört, dass es hier im Süden farbige Menschen mit dunkler Haut gab, aber so dunkel hatte sie sich das nicht vorgestellt. Auch ihr fuhr ein Schreck in die Glieder angesichts des schwarzen Mannes. Eine eiserne Keule, einen sogenannten Schädelspalter, in der Hand, kam er langsam auf Ursula zu. Sein Gesicht verzog sich dabei zu einem grässlichen Grinsen und legte seine gelben Zähne bloß, die im Kontrast zur dunklen Haut hell zu strahlen schienen, ebenso wie das Weiß in seinen Augen. Ansatzlos holte er zum Schlag aus, und Ursula konnte die fürchterliche Waffe gerade noch mit ihrem Stab von sich wegführen. Der Stab ging dabei zu Bruch, und Ursula hielt nur noch ein kurzes Ende in der Hand. Einem zweiten Schlag konnte sie bähende ausweichen, dann stand sie aber mit dem Rücken zur Wand, zwischen sich und dem Schwarzen nur noch ihren Karren. Das Grinsen des Mannes wirkte nun überlegen, und siegessicher steckte er seine Keule in den Gürtel. Ursula wandte sich zur Flucht. Sie wollte zwischen Hauswand und Karren durchschlüpfen, der Mann war aber schneller und bekam sie am Handgelenk zu fassen. In Panik handelte Ursula instinktiv. Sie riss ihren Dolch aus der Scheide und fuhr gleichzeitig herum. Ungezielt und von ihrem Verfolger unerwartet, schnitt sie dem Schwarzen durch das Gesicht. Dieser ließ den Dolch, den er selber gezogen hatte, mit einem Schmerzensschrei fallen und fasste nach der klaffenden Wunde in seinem Antlitz. Ursula nahm den Dolch mit beiden Händen und stach voller Wut und Angst zu. Die Brust des Mannes bot kaum Widerstand, die scharfe Klinge glitt zwischen zwei Rippen. Da war kein Leder und erst recht kein Kettenhemd, das sie geschützt hätte. Von der Wucht, mit der Ursula sich ihm entgegengeworfen hatte, zurückgestoßen, stolperte der Schwarze, fiel auf den Rücken und griff noch nach dem tief in ihm steckenden Dolch, doch dann zuckte sein Körper zusammen und erschlaffte. Ursula stand völlig starr an der Wand und konnte ihren Blick nicht von ihm lassen. Es dauerte lange, bis sich das Zittern, welches ihren ganzen Körper ergriffen hatte, legte und sie sich wieder rühren konnte. Vorsichtig machte sie ein paar kleine Schritte zur Seite, um aus der Reichweite des Mannes zu kommen. Als der sich überhaupt nicht rührte, hob Ursula das längere Bruchstück ihres Stabes auf und stieß den in der Gosse liegenden Körper kräftig an der Schulter an. Der Mann rührte sich auch dann nicht. Vorsichtig näherte Ursula sich, langte beherzt nach dem Griff ihres Dolches und zog ihn aus der Brust des Mannes heraus. Ängstlich sprang sie zurück, alles erwartend, aber diesen Feind musste sie nicht mehr fürchten. Sie sah sich um. Wo waren plötzlich all die Menschen? Gerade eben noch war die Gasse doch voll gewesen, und jetzt war sie mit ihrem Esel ganz allein. Sie rutschte an der Wand, die sie gestützt hatte, herunter und begann zu weinen. Wie sollte sie jetzt nach diesem Sturm Hilde in der fremden Stadt wiederfinden? War sie überhaupt noch am Leben, und was war mit Roderich? Ab und an hasteten Menschen an ihr vorüber. Sie beachteten sie ebenso wenig wie die anderen sie. Freund oder Feind, egal, sie wollte jetzt nur noch einen, Roderich, der seine starken Arme um sie schließen und sie in Sicherheit bringen würde. Ursula horchte auf. Nach wie vor waren Laute von Kampfhandlungen zu hören. Sie vernahm das Brüllen der Krieger und schrille Schreie irgendwelcher Frauen. Das Viertel, in dem sie sich befand, schien menschenleer. Vor ihr lag der Leichnam des schwarzen Mannes. Sie trocknete ihre Tränen und wischte sich mit der Schürze über ihr Gesicht. Langsam stand sie auf, holte aus der Karre den Wasserschlauch und trank. Nach und nach ging es ihr wieder besser. Eine Gruppe Menschen hastete an ihr und dem Esel vorbei.
„In den Quartieren der Handwerker gibt es noch was zu holen“, hörte sie einen der Männer rufen. Doch ihr war nicht danach, sich am Plündern zu beteiligen. Aber wo mochte Hilde stecken, und wie sollte sie in dieser großen Stadt die Freundin und Roderich wiederfinden? Sie war von Hilde getrennt worden, als alle durch das Tor drängten. Vielleicht sollte sie zum Tor zurückgehen und es in der
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