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Die Kreuzfahrerin

Die Kreuzfahrerin

Titel: Die Kreuzfahrerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Nowicki
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warten?“, fragte Ursula am anderen Ufer.
    „Ja, ich bleibe hier aber nicht sitzen. Ich kann zwei Angelschnüre auswerfen. Vielleicht fange ich ja was. Außerdem mag ich nicht am Ufer bleiben. Nachher kommt noch einer auf die Idee, mir den Kahn wegzunehmen. Ich bleibe aber in Rufweite. Wenn du zurückkommst, ruf mich einfach. Ich hole dich dann.“
    Ursula war einverstanden und schritt auf die wilde Zeltstadt zu. Die Leute beachteten sie nicht weiter. Alle trugen rote Stoffstreifen über Kreuz an ihre Brust geheftet. Einige saßen an ihren Feuerstellen, andere schienen mit Packen beschäftigt. Hier herrschte fast noch mehr Bewegung als auf den Gassen der Stadt. Ursula sah nicht nur Männer, sondern zu ihrem Erstaunen auch viele Frauen und Kinder. Die Kleider der Leute waren ärmlich, viele der Zelte schienen provisorisch. Sie hatte mehr Wagen und Karren erwartet, aber es sah aus, als seien die meisten losgezogen mit kaum mehr als ihren eigenen Kleidern am Leib. Bei einem größeren Zelt sah Ursula einige Männer in Kettenhemden mit Schwertern an ihrer Seite. Hinter dem Zelt stand ein Wagen, und bei einem Feuer saß eine Frau und stillte ihr Baby. Ursula trat auf die Frau zu. „Nimmst du dein Kind mit?“, fragte sie.
    Die Frau sah erstaunt auf und antwortete weniger freundlich, als Ursula es erwartet hätte. „Ja, was denkst denn du? Wo soll ich es denn lassen, hä? Ob wir daheim verhungern oder auf dem Weg, ist doch gleich.“
    Ursula hatte keine Lust, sich weiter mit der Frau auseinanderzusetzen, und ging wortlos weiter. Sie sah einen Burschen, der auf einem Stein das Schneidblatt einer Sense geradeklopfte. Ihr fiel auf, dass sie außer den paar Männern in Kettenhemden bisher kaum einen Bewaffneten gesehen hatte. Waren die bereits wieder unterwegs? Begierig auf eine Antwort fragte sie den Nächstbesten: „He, du, sag, wo sind eure Ritter und Soldaten? Sind sie schon weitergezogen?“
    Der Angesprochene, ein bärtiger Kerl in bäuerlicher Kleidung, von dessen Gürtel eine hölzerne Keule baumelte, lachte. „Welche Ritter? Junge Frau, wir haben keine Ritter. Wozu auch? Mit Gottes Hilfe werden wir seinen Feinden entgegentreten und siegen.“
    „Woher kommst du?“, fragte Ursula den Mann, da er ihr freundlicher erschien als alle anderen, die sie bisher in dem Lager getroffen hatte.
    „Aus Worms.“
    „Worms? Wo ist das?“
    „Worms liegt am Rhein, einem Fluss weit im Westen. Dort predigte Peter der Einsiedler um Ostern herum, und wir folgten seinem Ruf. Wir haben die Stadt von den Juden befreit, und ich konnte mir die Börse füllen.“ Mit zufriedenem Grinsen klopfte sich der Mann auf einen Beutel, der an seinem Gürtel hing. Ursula musste an Solomon und seine Frau denken und an Adele, Daniel und Levi. Hatte dieser hier auch so grausam gehandelt? Trotz dieser Gedanken fragte sie weiter: „Geht ihr alle zu Fuß?“
    „Ja, nur die Reichen haben Pferde. Die wenigen Ochsen und Esel sind zum Tragen da oder ziehen unsere Karren. Wer Glück hat, der wird sein Tier noch eine Weile behalten, bevor es von anderen aufgegessen wird.“ Er grinste erneut auf ebenso abscheuliche Weise.
    „Weißt du, wie weit es bis Jerusalem ist?“, fragte Ursula weiter.
    „Weit? Ich weiß nicht. Wir folgen jetzt erst einmal dem Fluss Richtung Osten, dann wenden wir uns nach Süden und werden, so Gott will, auf die große Straße nach Konstantinopel stoßen. Von dort ist es dann, glaube ich, nicht mehr so weit“, lautete die Antwort. „Jetzt lass mich aber zufrieden mit deinen Fragen, wir müssen auch los. Wenn wir uns nicht sputen, finden wir auf dem Weg nichts mehr zu essen.“ Mit diesen Worten stapfte er eilig davon. Ursula sah sich weiter um, konnte aber nur Armut und Elend sehen. Sie drehte um und ging zurück zum Ufer. Auf ihrem Weg traf sie auf eine Gruppe Frauen, die etwa in ihrem Alter waren. Die Weiber schienen nicht so mürrisch wie alle, die Ursula bisher gesehen hatte. Sie standen da und palaverten lauthals miteinander.
    „Schau, hier den Ring, den hat mir einer heute Nacht gegeben. Er hat ihm einem reichen, jüdischen Sack vom Finger geschnitten. Ich habe ähnlich teure Stücke aus Köln und Xanten“, lachte eine. „Wenn das so weitergeht, bin ich bis Jerusalem nicht nur reich, sondern auch eine achtenswerte Herrin.“
    „Du und eine Herrin, dass ich nicht lache!“, neckte eine andere. „Wie willst du das denn machen?“
    „Der Einsiedler hat es doch verkündet. Allen, die nach Jerusalem ziehen, gewährt der

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