Die Kreuzzüge
Zusammenschlusses aller Muslime zur Verteidigung des islamischen Glaubens und seiner Territorien. Als die christlichen Kreuzzüge einsetzten, schlummerte der ideologische Impuls zu einem Glaubenskrieg auf der muslimischen Seite also, doch die Rahmenbedingungen dafür waren vorhanden. 11
Der Islam und das christliche Europa am Vorabend der Kreuzzüge
Es bleibt die Grundsatzfrage: Provozierte die muslimische Welt die Kreuzzüge, oder handelte es sich bei diesen lateinischen heiligen Kriegen um einen Akt der Aggression? Entscheidend für die Beantwortung dieser Frage ist die Einschätzung, wie stark der Islam den christlichen Westen im 11. Jahrhundert bedrohte. In gewisser Weise bedrängten die Muslime die Grenzen Europas tatsächlich. Im Osten war Kleinasien schon seit Generationen Schauplatz von Auseinandersetzungen zwischen dem Islam und dem Byzantinischen Reich, und muslimische Truppen hatten wiederholt versucht, Konstantinopel, die größte Metropole der Christenheit, zu erobern. Im Südwesten beherrschten Muslime nach wie vor ausgedehnte Gebiete auf der Iberischen Halbinsel, es war nicht auszuschließen, dass sie eines Tages weiter nach Norden, über die Pyrenäen hinaus vorstoßen würden. Doch Europa war am Vorabend der Kreuzzüge keineswegs in einen akuten Überlebenskampf verstrickt. Es drohte kein zusammenhängender, panmediterraner Angriff, denn die iberischen Mauren und die Türken Kleinasiens hatten zwar ein gemeinsames religiöses Erbe, sich aber noch nie im Dienst eines gemeinsamen Zieles zusammengeschlossen.
Nach der ersten Welle islamischer Expansion war die Beziehung zwischen benachbarten christlichen und muslimischen Ländern vielmehr bemerkenswert unspektakulär gewesen; sie war, wie bei potentiellen Rivalen üblich, geprägt von Phasen des Konflikts und Phasen der Koexistenz. Es gibt kaum, um nicht zu sagen keinerlei Hinweise darauf, dass diese beiden Weltreligionen sich in einen unumgänglichen, ständigen [39] »clash of civilisations« verrannt hätten. Islam und Byzanz entwickelten vielmehr seit dem 10. Jahrhundert einen zeitweise durch Streitigkeiten belasteten Respekt füreinander, aber ihr Verhältnis war nicht konflikthaltiger als das zwischen den Griechen und ihren slawischen oder lateinischen Nachbarn im Westen.
Das heißt nicht, dass auf der Welt eitel Frieden und Harmonie geherrscht hätten. Die Byzantiner nutzten nur zu gern jedes Zeichen muslimischer Schwäche aus. So stießen griechische Truppen 969, während das Reich der Abbasiden auseinanderfiel, ostwärts vor, nahmen einen großen Teil Kleinasiens wieder ein und eroberten die strategisch wichtige syrische Stadt Antiochia. Mit dem Vorrücken der seldschukischen Türken sahen sich dann die Byzantiner neuem militärischen Druck ausgesetzt. 1071 vernichteten die Seldschuken ein kaiserliches Heer in der Schlacht von Manzikert (im östlichen Teil Kleinasiens), und obwohl Historiker dieses Ereignis nicht länger als einen verheerenden Rückschlag für die Griechen ansehen, bedeutete die Schlacht doch eine schmerzhafte Niederlage und den Auftakt für beträchtliche türkische Gebietseroberungen in Anatolien. 15 Jahre später eroberten die Seldschuken auch Antiochia zurück.
Gleichzeitig hatten die Christen auf der Iberischen Halbinsel begonnen, Territorium von den Mauren zurückzuerobern, 1085 errangen die Lateiner dort einen hochsymbolischen Sieg, indem sie Toledo, die alte christliche Hauptstadt Spaniens, wieder einnahmen. Allerdings hatte die Ausweitung des lateinischen Gebiets Richtung Süden offenbar politische und wirtschaftliche Gründe, war also nicht religiös-ideologisch motiviert. Der Konflikt auf der Iberischen Halbinsel bekam nach 1086 neue Nahrung, als eine fanatische islamische Sekte, die Almoraviden, von Nordafrika aus vordrang und die noch bestehende Macht der einheimischen Mauren verdrängte. Dieses neue Regime belebte auch den muslimischen Widerstand neu und errang gegen die Christen im Norden zahlreiche militärische Siege. Trotzdem kann die Angriffspolitik der Almoraviden nicht als Auslöser der Kreuzzüge bezeichnet werden, denn die lateinischen heiligen Kriege, die Ende des 11. Jahrhunderts angestoßen wurden, zielten direkt auf die Levante und nicht auf die Iberische Halbinsel.
Was also war es, das den Krieg zwischen Christen und Muslimen im Heiligen Land entfachte? In gewisser Hinsicht waren die Kreuzzüge eine [40] Reaktion auf einen Akt islamischer Aggression, nämlich auf die Eroberung Jerusalems durch
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