Die Kreuzzüge
Papsttums; sowie des Grafen Raimund von Toulouse, des reichsten und mächtigsten weltlichen Herrn in Südfrankreich.
Im November war für den Papst der Zeitpunkt gekommen, seine Pläne zu enthüllen. Zwölf Erzbischöfe, 80 Bischöfe und 90 Äbte versammelten sich in Clermont zur größten Versammlung des Klerus während Urbans Pontifikat. Nach neun Tagen allgemeiner kirchlicher Diskussionen ließ der Papst seine Absicht verkünden, eine besondere Predigt zu halten. Am 27. November versammelten sich viele hundert Zuschauer auf einem Feld vor der Stadt, um diese Predigt zu hören. 2
Die Predigt von Clermont
In Clermont rief Urban den lateinischen Westen dazu auf, für zwei miteinander verknüpfte Ziele zu den Waffen zu greifen. Zum einen verkündete er, es sei dringend geboten, die östlichen Grenzen der Christenheit in Byzanz zu schützen; dafür verwies er insbesondere auf das [48] Band christlicher Brüderlichkeit, das die lateinische mit der griechischen Christenheit verband, und auf die Bedrohung durch eine angeblich unmittelbar bevorstehende muslimische Invasion. Einem Bericht zufolge drängte er seine Zuhörer, »euren Brüdern an den Gestaden des Ostens so schnell wie möglich zu Hilfe zu eilen«, weil »die Türken [. . .] sie schon bis hin zum Mittelmeer überrannt haben«. Doch der epische Nachdruck von Urbans Rede machte bei der militärischen Unterstützung für Konstantinopel nicht Halt. Stattdessen erweiterte er in einer visionären Meisterleistung seinen Appell um ein weiteres Ziel, das, wie er sicher wusste, die Herzen aller Franken höher schlagen ließ. Er verknüpfte die hehren Ziele von Kriegsführung und Pilgerfahrt und enthüllte eine Unternehmung, die einen Pfad bis ins Heilige Land selbst eröffnen sollte, um dort Jerusalem zurückzuerobern, die heiligste Stätte der Christenheit. Urban erinnerte an die unvergleichliche Heiligkeit dieser Stadt, »Nabel der Welt«, wo »die [Quelle] der gesamten christlichen Lehre« entsprang, der Ort, »an dem Christus lebte und starb«. 3
Trotz der unbestreitbaren Attraktivität dieser verschwisterten Ziele brauchte der Papst wie jeder Herrscher, der zu einem Krieg aufruft, für seine Sache noch einen Anstrich von Rechtfertigung und brennender Dringlichkeit, und hier stieß er auf eine Schwierigkeit: Die jüngere Geschichte bot kein klar benennbares Ereignis, mit dem er brennenden Rachedurst hätte auslösen können. Wohl stand Jerusalem unter muslimischer Herrschaft, aber das war schon seit dem 7. Jahrhundert der Fall. Und so ernsthaft Byzanz durch angriffslustige Türken bedroht sein mochte, so wenig sah sich die Christenheit im Westen kurz vor einer Invasion oder gar Vernichtung durch den Islam. Da dem Papst also unmittelbar keine furchterregenden Greueltaten oder akuten Bedrohungen zur Verfügung standen, auf die er sich hätte berufen können, griff er, um bei seinen Zuhörern ein Gefühl für die Dringlichkeit der Sache zu erzeugen und zornigen Vergeltungsdrang zu wecken, bei der Darstellung seines geplanten »Kreuzzugs« zum Mittel der Dämonisierung des Feindes.
Muslime wurden nun als tierähnliche Wilde dargestellt, die kein anderes Ziel kannten als die barbarische Misshandlung der Christenheit. Urban beschrieb, wie die Türken »viele [Griechen] abschlachteten und gefangen nahmen, Kirchen in Schutt und Asche legten und das Königreich Gottes zerstörten«. Er fügte hinzu, dass christliche Pilger, die unterwegs [49] waren ins Heilige Land, von Muslimen beschimpft und ausgebeutet wurden, dass den Reichen ihre Besitztümer durch illegale Steuern abgenommen und die Armen gefoltert wurden:
Die Grausamkeit dieser gottlosen Männer geht so weit, dass sie, wenn sie vermuten, dass diese armen Menschen ihr Gold oder Silber verschluckt haben, ihnen Scammonie [Brechmittel] zu trinken geben und sie zwingen, sich zu erbrechen oder ihr Gedärm zu entleeren, oder – man wagt es kaum zu schildern – sie schneiden das Fleisch auf, das die Därme bedeckt, nachdem sie den Magen ihrer armen Opfer mit einem Messer aufgeschnitten haben und mit grauenhaften Verstümmelungen offen legen, was die Natur verhüllt hat.
Von Christen, die in der Levante unter muslimischer Herrschaft lebten, wurde behauptet, sie seien durch »Schwert, Raub und Brandschatzung« zu »Sklaven« erniedrigt worden. Diese Unglücklichen seien die Opfer ständiger Verfolgung, man unterwerfe sie der Zwangsbeschneidung, entferne ihnen die Innereien oder verwende sie in grausamen Ritualen als
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