Die Kreuzzüge
der Hand Saladins. 8
Da Saladin nun die Schwierigkeiten seines ersten Jahres im Amt des Wesirs überwunden hatte, leitete er – ähnlich wie Nur ad-Din in der ersten Zeit seiner Herrschaft als Emir – einige zivile und religiöse Reformen ein. Alexandrias Festungsanlagen wurden verstärkt, während in Kairo und seiner südlichen Vorstadt Fustat neue Zentren sunnitischer Rechtsprechung entstanden. Saladin schaffte dann später die nicht durch den Koran legitimierte Besteuerung des Handels in Ägypten ab; gleichzeitig erhöhte er andere Abgabenarten, um den Ausfall von Staatseinkünften auszugleichen. Im November 1170 scheint er sich außerdem den Mantel des Mudschahid übergeworfen zu haben: Er führte eine erste Invasion in das fränkische Palästina an. An der Spitze eines stattlichen Heeres überrannte er die kleine lateinische Festung Darum, genau südlich von Gaza, und kämpfte gegen eine von König Amalrich hastig zusammengestellte Entsatztruppe, bevor er zur Küste des Roten Meeres weitermarschierte, um die Hafenstadt Akaba zu besetzen. Bei diesem Feldzug kämpfte Saladin zwar unter anderem gegen die Christen, doch sein vorrangiges Interesse galt wohl doch eher der sicheren Landverbindung zwischen der Nilregion und Damaskus, und es wäre wahrscheinlich falsch, in dieser Unternehmung einen ersten Vorschein seines Engagements für den heiligen Krieg zu sehen.
HEERFÜHRER ODER HERRSCHER
Als sich Saladins Stellung in Ägypten zunehmend stabilisierte, wurde der Widerspruch zu seiner mangelnden Selbständigkeit immer deutlicher. Er war ein Feldherr der Sunniten, dessen Macht und Reichtum [305] ständig im Wachsen begriffen war, doch nach wie vor stand er nur in der zweiten Reihe hinter einem schiitischen Kalifen und zudem im Dienst Nur ad-Dins. Bislang war er mit seiner Zurückhaltung gut beraten gewesen, doch im Spätsommer 1171, als er sich seiner Machtposition in Kairo sicher sein konnte, war er bereit, die Fatimiden zu verdrängen. Nach wie vor ging er jedoch mit deutlicher Zurückhaltung vor; von den in der ägyptischen Politik üblichen Verirrungen wie etwa einem blutigen Staatsstreich oder Massakern im großen Maßstab sah er ab. Sein Vorgehen wurde teilweise durch den betrüblichen Gesundheitszustand des jungen Kalifen begünstigt. Ende August wurde dieser – noch kaum zwanzigjährig – schwer krank, und es dauerte nicht lang, bis er an der Schwelle des Todes stand. 9
Am Freitag, dem 10. September 1171, unternahm Saladin seinen ersten vorsichtigen Schritt in Richtung Autonomie. Seit Jahrhunderten wurde während des Freitagsgebets in sämtlichen Moscheen Ägyptens der Name des schiitischen Kalifen genannt, vorgetragen in ehrfürchtiger Anerkennung der Autorität der Fatimiden. An diesem Tag nun wurde in Fustat al-Adids Name durch den des sunnitischen Abbasiden-Kalifen von Bagdad ersetzt. Saladin prüfte sozusagen die Wassertemperatur, ob ein solcher Schritt zu einer offenen Rebellion führen würde, bevor er in Kairo selbst seine Karten aufdeckte – und es geschah nichts. Am nächsten Tag ritt er an der Spitze einer imposanten Militärparade durch die Hauptstadt, und seine gesamte Streitmacht zog durch die Straßen. Sein Sekretär al-Fadil bemerkte dazu, dass »kein König des Islams jemals ein Heer besaß, das diesem gleichkam«. Für seine ägyptischen Untertanen sowie für die lateinischen und griechischen Repräsentanten, die sich damals zufällig in Kairo aufhielten, war die Botschaft unmissverständlich: Saladin war nun der Herrscher Ägyptens. Als al-Adid auf dem Sterbebett davon erfuhr, ließ er Saladin, der ja immerhin nominell noch sein Wesir war, inständig bitten, an sein Krankenbett zu kommen; er hoffte, Saladin überreden zu können, seine Familie zu verschonen. Saladin, der eine Verschwörung befürchtete, weigerte sich – es hieß immerhin, er habe diese hartherzige Entscheidung später bereut –, und am 13. September starb der Kalif. Saladin nahm demonstrativ an den Bestattungsfeierlichkeiten teil und unternahm nichts, um die Nachkommen des Kalifen zu eliminieren. Stattdessen erhielten sie innerhalb des Kalifenpalasts Wohnung und wurden versorgt, doch um ihre Linie aussterben zu lassen, [306] wurde ihnen verboten, Kinder zu zeugen. Die Konsequenzen dieses Staatsstreichs waren, obwohl er sich nicht auf einen Schlag, sondern schrittweise vollzogen hatte, nichtsdestoweniger dramatisch. Die Tage der Fatimiden waren vorüber; das religiöse und politische Schisma, das Ägypten seit dem
Weitere Kostenlose Bücher