Die Kreuzzüge
des Islam machen sollte. Einige mittelalterliche Chronisten und zahlreiche moderne Historiker sind der Meinung, dass die Beziehung Saladins zu seinem syrischen Herrn Nur ad-Din praktisch unmittelbar nach Saladins Ernennung zum Wesir erste Risse zu zeigen begann, dass sich also ein drohender Konflikt zwischen Kairo und Damaskus sehr bald abzeichnete. In Wirklichkeit deutet vieles darauf hin, dass Saladin und Nur ad-Din – trotz gelegentlicher kleinerer Reibereien während einer ersten Phase der Anpassung – auch weiterhin kooperierten; kaum etwas spricht dafür, dass Saladin sich schon in dieser ersten Phase um Unabhängigkeit bemüht haben soll. Die Machtbalance und die wechselseitigen Treueverpflichtungen zwischen diesen beiden Machthabern – den Vorkämpfern der zangidischen und der ajjubidischen Dynastie – sollten zu gegebener Zeit ein akutes Problem werden, doch im Jahr 1169 hatte Saladin Wichtigeres zu tun. 6
Erste Schwierigkeiten
[301] Saladins Überlebenschancen als Nachfolger seines Onkels im Amt eines Wesirs des Fatimiden-Kalifen al-Adid waren minimal. In den zurückliegenden 15 Jahren war das Wesirat nicht weniger als achtmal von einer Hand in die nächste gegangen; die Politik in Kairo war geprägt und durchdrungen von erbitterten Grabenkämpfen, Verrat, Betrug und Mord. Saladin kam in diese unberechenbare, mörderische Umgebung als isolierter Fremder – ein sunnitischer Kurde in einer schiitischen Welt –, und es standen ihm nur begrenzte militärische und finanzielle Mittel zur Verfügung. Kaum jemand dürfte erwartet haben, dass er in der Lage wäre, sich durchzusetzen.
Im Frühjahr 1169 bestand Saladins erste gewissermaßen instinktive Handlung darin, um sich herum so schnell wie möglich einen Kreis von treuen und fähigen Helfern zu bilden. Während seiner gesamten Laufbahn verließ er sich offenbar immer stark auf die Tragfähigkeit von Verwandtschaftsbeziehungen; in Ägypten praktisch auf sich allein gestellt, wandte er sich an seine Familie und bat Nur ad-Din, er möge es Mitgliedern der Ajjubiden erlauben, Syrien zu verlassen und an den Nil zu kommen. Nach nur wenigen Monaten hatte sich zu Saladin sein älterer Bruder Turan-Shah gesellt sowie sein Neffe, Taqi ad-Din. Später kamen noch weitere Verwandte, darunter Saladins Vater Ajjub und ein weiterer – diesmal jüngerer – Bruder, al-Adil; auch er sollte sich noch einen großen Namen machen. Saladin besetzte die Schlüsselpositionen der Macht in Ägypten mit seinen Verwandten, doch konnte er auch viele Getreue aus dem askar seines verstorbenen Onkels Schirkuh gewinnen, die als die Asadijjaden bezeichnet wurden – ein Wortspiel mit dem vollen Namen Schirkuhs: Asad ad-Din Schirkuh ibn-Shadi.
Zu diesen gehörte der Kurde al-Mashtub, der auch selbst das Amt des Wesirs angestrebt hatte; der energische, freimütige Amluk Abu’l Haija der Dicke, der in seinen späteren Jahren einen solchen Grad an Fettleibigkeit erreichte, dass er kaum mehr aufrecht stehen konnte; und dazu der gerissene, allerdings reichlich brutale kaukasische Eunuch Qaragush. Saladin begann außerdem, ein eigenes askar zu versammeln, die Salahiyya. Sogar innerhalb des zerstrittenen Fatimidenhofs konnte Saladin einige Verbündete gewinnen. Der aus Askalon stammende Schreiber, Poet und Verwalter al-Fadil, der schon zahlreichen Wesiren [302] gedient hatte, trat jetzt in den Dienst Saladins, er wurde sein Sekretär und ein enger persönlicher Vertrauter. Al-Fadil war ein eifriger Briefeschreiber, und Abschriften seiner Briefe sind für uns heute ein wertvoller Fundus historischer Zeugnisse.
Saladin brauchte schon innerhalb der ersten Monate nach seinem Amtsantritt die Hilfe dieser eingeschworenen Verbündeten, weil mehrere Anschläge auf seine Person unternommen wurden. Er bewies eine bemerkenswerte Fähigkeit, mit derartigen Bedrohungen politisch differenziert umzugehen – diese Fähigkeit sollte sich in seiner Laufbahn noch als charakteristisch herausstellen. Wenn es nötig war, konnte Saladin mit erbarmungsloser Entschlossenheit zuschlagen, doch war er auch fähig, vorsichtig und diplomatisch zu handeln. Im Frühsommer des Jahres 1169 zettelte Mutamin, der oberste Eunuch im Palast des Kalifen, eine Verschwörung gegen Saladin an: Er nahm mit dem Königreich Jerusalem Kontakt auf und hoffte, die Franken zu einer weiteren Invasion in Ägypten bewegen und so die Ajjubiden stürzen zu können. Ein geheimer Gesandter machte sich, als Bettler verkleidet, von Kairo aus auf
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