Die Kreuzzüge
10. Jahrhundert vom Rest des muslimischen Vorderen Orients getrennt hatte, löste sich auf, und zurück blieb Saladin als Lichtgestalt der sunnitischen Orthodoxie.
Bedenkt man den fast legendären Ruf, der vom Reichtum des Kalifen ausgegangen war, dann hätte eine der unmittelbarsten positiven Auswirkungen von al-Adids Tod für Saladin ein massiver Zuwachs an Bargeld sein müssen. Als Saladin jedoch den Fatimidenpalast bezog, fand er nur einen erstaunlich kleinen Vorrat an Geldmitteln; ein großer Teil der Rücklagen musste für die enormen Tributzahlungen des verblichenen Wesirs Shawar an Jerusalem und Damaskus ausgegeben werden sowie für Saladins Kampf um Damiette im Jahr 1169. Die Schätze, die er entdeckte – ein »Berg« Rubine, ein riesiger Smaragd und eine Auswahl an großen Perlen –, wurden schnell verkauft.
Die Aufhebung des Fatimiden-Kalifats durch Saladin und die Unterwerfung Ägyptens im Jahr 1171 waren, zumindest äußerlich, keine rein persönlichen Siege; sie bedeuteten auch einen Triumph für Nur ad-Din, Saladins Dienstherrn, dessen Reich sich nun tatsächlich von Ägypten bis Syrien und darüber hinaus erstreckte. Beide Männer erhielten in jenem Herbst mit Sicherheit formidable Zeremonialgewänder für ihren Sieg vom Kalifen von Bagdad. Hinter der Fassade der Erfolgsgeschichte von der sunnitischen Einheit jedoch machten sich erste Spannungen zwischen dem Herrscher und seinem immer mächtiger werdenden Heerführer bemerkbar. Nachdem Aleppo, Damaskus und Kairo vereinigt und das fränkische Königreich Jerusalem von ihnen eingekreist war, dürfte Nur ad-Din wohl erwartet haben, dass er einen Anspruch auf die Reichtümer und Ressourcen der Nilregion, aber auch auf Saladins militärische Unterstützung hatte, um einen großen Angriff auf Palästina zu unternehmen. Nach dem Herbst 1171 jedoch begann Saladin, der neue Herr über Ägypten, als souveräner Herrscher eigenen Rechts zu handeln. Seit den Tagen von Schirkuhs Vorstößen war das Engagement der Ajjubiden in dieser Region nie frei von Eigennutz gewesen, und die Eroberung Ägyptens hatte letztlich vor allem etwas mit Saladins persönlichen Stärken zu tun: seiner präzisen politischen und militärischen Vision; seiner [307] Geduld, Klugheit und Grausamkeit. Nun konnte er mit Recht beanspruchen, nicht länger Nur ad-Dins Untergebener, sondern dessen gleichrangiger Verbündeter zu sein.
Ein offener Konflikt wurde teilweise dadurch vermieden, dass Nur ad-Din mit ganz anderen Problemen in seinem Reich beschäftigt war. Syrien und Palästina wurden gleich nach 1170 wieder von einigen verheerenden Erdbeben erschüttert, und es musste viel Geld in ausgedehnte Wiederaufbaumaßnahmen gesteckt werden. Im Irak musste Nur ad-Din sich nach dem Tod seines Bruders sowie dem anschließenden Ableben des Abbasiden-Kalifen wieder einmal mit den Angelegenheiten Mesopotamiens befassen, während sich auf der Arabischen Halbinsel und in Anatolien gleichzeitig neue Möglichkeiten zu territorialer Expansion eröffneten, die seine Aufmerksamkeit erforderten. Dann führte im Jahr 1172 ein Streit mit den Franken um die Handelsrechte entlang der Küste Syriens zu mehreren Strafexpeditionen gegen Antiochia und die Grafschaft Tripolis.
Trotz dieser Umstände ersuchte Nur ad-Din Saladin an einem entscheidenden Konfliktherd um Hilfe: in Transjordanien, dem Wüstengebiet östlich des Jordans, das sich in der Hand der Lateiner befand. Dieses Gebiet war von einigem Wert: Im frühen 12. Jahrhundert hatten es die Lateiner durch den Bau der fränkischen Festungen Montreal und Kerak eingenommen, womit sie zumindest in einem gewissen Ausmaß die wichtigste Landverbindung von Damaskus entweder nach Ägypten oder nach Mekka und Medina, die heiligen Städte auf der Arabischen Halbinsel, kontrollierten. Saladin wurde – von einigen mittelalterlichen Chronisten wie auch von manchen modernen Historikern – vorgeworfen, er habe sich in den frühen 1170er-Jahren einer Mitwirkung an zwei Versuchen, dieses Grenzgebiet zu erobern, entzogen. Dieser »Verrat« soll angeblich beweisen, dass Saladins eigentliches Motiv egoistischer Natur gewesen sei und dass es ihm gerade nicht um die übergreifenden Interessen des Islams ging. Aber trifft es überhaupt zu, dass er sich von Nur ad-Din abwandte und damit die Gelegenheit vertat, einen Sieg im Krieg um das Heilige Land zu erringen?
Ende September 1171, kurz nach dem Untergang des Fatimiden-Kalifats, marschierte Saladin in Transjordanien ein,
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