Die Kreuzzüge
wollte mit diesem Bericht den Expansionsdrang der Ajjubiden kritisieren, indem er den öffentlichen Erwartungsdruck beschrieb, der nunmehr auf dem Sultan lastete. Im weiteren Verlauf jedoch deutet er [371] an, dass Saladin bei dieser Zusammenkunft einen kurzen, doch hochbedeutsamen Augenblick der Selbsterkenntnis erlebte. Ibn al-Athir zufolge brachte der Sultan seinen festen Entschluss zum Ausdruck, in den Krieg zu ziehen, und fügte dann an, dass »der Gang der Dinge sich nicht an den Entscheidungen des Menschen ausrichtet, und wir wissen nicht, wie viele von uns überleben werden«. Vielleicht hatte den Sultan das neu gewonnene Bewusstsein der Endlichkeit seiner Existenz zum Handeln gedrängt; worin die Gründe auch immer liegen mögen – es scheint sich jedenfalls ein Wandel vollzogen zu haben. Offenbleiben muss nach wie vor die Frage, inwieweit er schon in den langen Jahren zwischen 1169 bis 1186 entschlossen war, die Franken zu vertreiben. Doch unabhängig davon versammelte Saladin im Jahr 1187 die gesamte Streitmacht seines Reiches, um gegen das Königreich Jerusalem anzutreten. Nun war er unwiderruflich bereit, gegen die Christen in einen alles entscheidenden Krieg zu ziehen. 3
EIN KÖNIGREICH IN SCHERBEN
Diese rasch zunehmende Kriegsbereitschaft des Ajjubiden fiel mit einer sich ständig verschärfenden Krise im lateinischen Palästina zusammen. Irgendwann zwischen Mai und Mitte September 1186 starb der junge König Balduin V. von Jerusalem, und es entbrannte ein erbitterter Streit um die Nachfolge. Graf Raimund von Tripolis, der als Regent geherrscht hatte, wollte nach dem Thron greifen, doch er wurde von Sibylla (der Schwester Balduins IV.) und ihrem Ehemann, Guido von Lusignan, verdrängt. Sibylla und Guido hatten sich die Unterstützung des Patriarchen Heraklios gesichert sowie die Hilfe großer Teile des Adels und der Ritterorden. So schafften sie es, sich als Königin und König krönen und salben zu lassen. Raimund versuchte, einen regelrechten Bürgerkrieg anzuzetteln, indem er Humfried von Toron und seine Frau Isabella zu den rechtmäßigen Monarchen Jerusalems erklärte. Humfried jedoch, möglicherweise im Bewusstsein der schrecklichen Folgen, die dieser Schritt haben konnte, lehnte ab.
Gleich nach der Krönung gewann Guido gegen Bezahlung einen Aufschub, um im Königreich wieder eine gewisse Ordnung herstellen zu können: Um den Preis von 60 000 Gold-Bezant verlängerte er den Vertrag [372] mit Saladin bis zum April 1187. Guido war eine höchst kontroverse Figur – Balduin von Ibelin war so abgestoßen von dessen Krönung, dass er auf seine Herrschaft verzichtete, Jerusalem den Rücken kehrte und sich in Antiochia niederließ –, und nachdem Guido König geworden war, sorgte seine Gewohnheit, die Machtpositionen im Königreich mit Mitgliedern seiner Familie aus dem Poitou zu besetzen, für weiteren Verdruss. Um mit seinem mächtigsten Feind, Raimund von Tripolis, fertigzuwerden, scheint er den Plan verfolgt zu haben, die Herrschaft über Galiläa mit Gewalt an sich zu reißen. Raimund reagierte darauf mit der drastischen Maßnahme, Saladin persönlich um Schutz zu bitten. Muslimische Quellen deuten an, viele Berater des Sultans hätten dieser Annäherung nicht getraut, Saladin jedoch habe richtig erkannt, dass dies ein ernst gemeintes Bündnisangebot war, das Ergebnis des verhängnisvollen Risses, der die Franken in zwei Lager spaltete. Zum größten Entsetzen vieler Zeitgenossen öffnete Raimund die Tore von Tiberias für muslimische Truppen, um die Besatzung der Stadt aufzustocken, und erlaubte den ajjubidischen Kämpfern, ungehindert durch seine galiläischen Lande zu ziehen. In diesem schlimmsten Moment beging der Graf einen Verrat, der die Uneinigkeit unter den Christen noch vergrößerte.
Dann, in den Wintermonaten 1186/1187, brach Rainald von Châtillon, Herr von Kerak, den Waffenstillstand mit den Ajjubiden, indem er eine muslimische Karawane angriff, die auf ihrem Weg von Kairo nach Damaskus durch Transjordanien zog. Seine Motive sind nicht eindeutig festzumachen, doch wahrscheinlich war es schlichte Habgier in Verbindung mit der Erkenntnis, dass Saladin sich auf eine größere Offensive vorbereitete, was Rainald zu seiner Aktion bewog. Fest steht, dass er in den Wochen danach keinerlei Anstrengungen unternahm, den Schaden wieder gutzumachen: Die Aufforderung des Sultans, die gestohlenen Waren zurückzugeben, wies er brüsk zurück. Doch auch ohne Rainalds Überfall hätte Saladin
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