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Die Kreuzzüge

Die Kreuzzüge

Titel: Die Kreuzzüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Asbridge , Susanne Held
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Das einzige Problem bei dieser erheblichen Neuverteilung war Saladins Neffe Taqi ad-Din. Er war seit dem Jahr 1183 Statthalter in Ägypten gewesen und neigte in besorgniserregendem Ausmaß zu unabhängigem Handeln. Mit der Unterstützung Qaragushs (den Saladin 1169 mit der Beaufsichtigung des Hofes in Kairo beauftragt hatte) schmiedete Taqi ad-Din Pläne für einen Feldzug in Richtung Westen an der nordafrikanischen Küste entlang, was dem Sultan wertvolle Truppen abgezogen hätte. Es gab außerdem Gerüchte, Taqi ad-Din sei in der Zeit, als der Sultan krank war, drauf und dran gewesen, seine Unabhängigkeit zu erklären. Im Herbst 1186 wurde Isa, der stets vollendete Diplomat, mit der delikaten Aufgabe betraut, Taqi ad-Din zum Rücktritt von seinem Posten in Ägypten und zur Rückkehr nach Syrien zu bewegen. Isa tauchte unangekündigt in Kairo auf; zunächst wurde er mit Ausflüchten abgefertigt, doch dann muss er Taqi ad-Din wohl den Rat gegeben haben: »Geht, wohin Ihr wollt.« Diese scheinbar neutrale Aufforderung hatte einen eisig-bedrohlichen Unterton, und Saladins Neffe brach kurz darauf nach Damaskus auf, wo er am Hof wieder aufgenommen wurde; man belohnte ihn mit seiner ehemaligen Herrschaft über Hama und weiteren Ländereien in der jüngst unterworfenen Region um Diyar Bakr. 1
    Mit der Frage, ob Taqi ad-Din sich auch künftig der Herrschaft Saladins beugen würde, war eine Problematik von größerer Tragweite angeschnitten. Zur Stärkung seines wachsenden Reiches verließ sich Saladin auf die Hilfe von Mitgliedern seines Familienverbands, doch war der Sultan daneben auch noch besonders bestrebt, die Interessen seiner Söhne zu schützen, weil sie den Stammbaum der Ajjubiden in direkter Linie weiterführten. Saladin musste ein empfindliches Gleichgewicht austarieren – er musste sich den Tatendrang und den Ehrgeiz von Gefolgsleuten wie Taqi ad-Din zunutze machen, denn ihre Energie wurde für den künftigen Erhalt und die Ausdehnung des Reiches unbedingt gebraucht; aber gleichzeitig mussten ihrem Unabhängigkeitsdrang Grenzen gesetzt [368] werden. In Bezug auf Taqi ad-Din hoffte Saladin, sich dessen Loyalität zu erhalten, indem er ihm weitergehende Entfaltungsmöglichkeiten im oberen Mesopotamien eröffnete.
    EIN VEREINTER ISLAM?
    Saladins Versuche in diesem Jahr 1186, die dynastischen Perspektiven des ajjubidischen Reiches festzulegen, ergaben sich quasi unmittelbar aus seinen Zugewinnen an Macht und Land. Seit er erstmals im Jahr 1169 als politische und militärische Größe in Erscheinung getreten war, hatte er die Unterwerfung der muslimischen Völker im Vorderen Orient geplant und gemeistert, seine Autorität erstreckte sich jetzt über Kairo, Damaskus, Aleppo und große Teile Mesopotamiens. Die Vertreibung des Fatimiden-Kalifats hatte der lähmenden Spaltung zwischen dem sunnitischen Syrien und dem schiitischen Ägypten ein Ende bereitet und eine neue Ära panlevantinischer muslimischer Einigkeit eingeleitet. Diese Leistungen, zu denen es in der neueren Geschichte nichts Vergleichbares gibt, übertrafen sogar die Erfolge Nur ad-Dins. Es sah so aus, als habe Saladin die muslimischen Völker vom Nil bis zum Euphrat geeint; seine Münzen, die im gesamten Reich und weit darüber hinaus im Umlauf waren, trugen die Inschrift: »Der Sultan des Islams und der Muslime«, eine deutliche Proklamation seiner alles umfassenden, geradezu hegemonialen Autorität. Moderne Historiker haben dieses Bild häufig unkritisch übernommen, wie sich beispielsweise an der Äußerung ablesen lässt, dass nach 1183 »die Herrschaft über ganz Syrien und Ägypten in [Saladins] Hand lag«. 2
    Die Vorstellung, Saladin hätte nun über eine Welt vollständiger, dauerhafter muslimischer Einheit geherrscht, ist allerdings äußerst irreführend. Sein »Reich«, errichtet mit Hilfe von militärischer Eroberung und repressiver Diplomatie, war in Wahrheit nicht mehr als eine brüchige Mischung aus disparaten, weit auseinander liegenden politischen Gebilden; viele wurden von Statthaltern regiert, deren Loyalität sich jederzeit in Luft auflösen konnte. Sogar in Kairo, Damaskus und Aleppo – den Stützpfeilern seines Reiches – musste sich der Sultan auf die fortgesetzte Treue und Kooperationsbereitschaft seiner Familie verlassen, auf Tugenden also, derer er sich letztlich nie ganz sicher sein konnte. Andernorts, [369] etwa in Mosul, Kleinasien und in der Dschazira, bildete die Vormacht der Ajjubiden lediglich eine dünne Schicht, sie

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