Die Kreuzzüge
hing von oberflächlichen Allianzen ab und verbarg kaum die darunterliegenden Antipathien.
Im Jahr 1186 konnte die Balance aufrechterhalten werden. Das gelang aber nur, weil Saladin seine schwere Krankheit überlebt hatte und nach wie vor über genügend Geld, Macht und Einfluss verfügte, um seinen Willen durchzusetzen. Die Aufgabe, ein geographisch so ausgedehntes und politisch so uneinheitliches Reich zusammenzuhalten und zu regieren, sollte den Sultan in den folgenden Jahren bis aufs äußerste beanspruchen. Im ajjubidischen Reich wirkten zentrifugale Kräfte, die ohne weiteres imstande waren, das gesamte Gebilde aufzusprengen, und es erwies sich als chronische und kräftezehrende Anstrengung, diesen Kräften entgegenzuarbeiten.
Auch nach gut 17 Jahren unaufhörlichen Kämpfens war Saladins Arbeit noch nicht getan. Es gab für den bevorstehenden Krieg einen harten Kern engagierter, treuer, kampferprobter Männer, auf die der Sultan sich verlassen konnte; im Großen und Ganzen jedoch stand er an der Spitze einer zerbrechlichen, häufig widerspenstigen Koalition und lebte im ständigen Bewusstsein, dass sein Reich durch Aufstände, Rebellion oder Verweigerung gefährdet war. Diese Verhältnisse bestimmten sein Denken und seine Strategie wesentlich und zwangen ihn häufig, den Weg des geringsten Widerstands zu gehen, um schnelle, stabile und gewinnbringende Siege zu erringen. Sowohl Zeitgenossen als auch moderne Historiker haben immer wieder Saladins Qualitäten als Heerführer in Abrede gestellt; sie wiesen darauf hin, dass ihm das Durchhaltevermögen für aufwendige, langwierige Belagerungen fehlte. Doch das lag einfach daran, dass für ihn alles vom Tempo seiner Unternehmungen abhing; er brauchte die schnellen Erfolge, damit die Eigendynamik des Krieges nicht abgebremst wurde, denn er wusste genau, dass die Maschinerie des muslimischen Krieges, wenn sie erst zum Stillstand kam, sehr schnell zusammenbrechen würde.
Letztlich gründete Saladins Reich ja darauf, dass es vor dem Hintergrund des Dschihads errichtet worden war; jeden einzelnen Schritt zur Ausweitung ajjubidischer Autorität rechtfertigte er als Mittel zu einem bestimmten Zweck. Die Einheit unter seinem Banner mag zu einem hohen Preis erkauft worden sein, Saladin aber wies unermüdlich darauf hin, dass sie nur einem einzigen Ziel diente: dem Dschihad, der die Franken [370] aus Palästina vertreiben und die Heilige Stadt befreien sollte. Dieser ideologische Impuls hatte sich als äußerst wirkmächtiges Mittel erwiesen, das den Motor territorialer Expansion antrieb und rechtfertigte, doch er hatte einen nahezu unvermeidlichen Preis: Wollte Saladin nicht als heuchlerischer Despot entlarvt werden, dann musste er all die Beteuerungen seiner unbedingten Hingabe an die Sache wahr machen und den seit langem in Aussicht gestellten Krieg auch tatsächlich beginnen.
Sicherlich kristallisierte sich in der Zeit nach seiner Krankheit, in der er möglicherweise eine Vertiefung seiner Spiritualität erfuhr, immer deutlicher das Engagement des Sultans für den Dschihad heraus. Hochangesehene islamische Gelehrte wie etwa die Brüder Ibn Qudama und Abd al-Ghani, beide von jeher Befürworter von Saladins Anliegen, trugen zur Verbreitung von religiösem Fanatismus bei. In Damaskus und im gesamten Herrschaftsbereich Saladins wurden immer häufiger vor Massenpublikum religiöse Traktate und Gedichte über den Glauben, über die Verpflichtung zum Dschihad und die überragende spirituelle Bedeutung Jerusalems vorgetragen. Ende 1186 hatte der Sultan offenbar nicht nur erkannt, dass ein radikaler Schlag gegen die Lateiner zu führen war, sondern er hatte sich den bevorstehenden Kampf auch auf einer sehr persönlichen Ebene zu eigen gemacht. Das kommt im Zeugnis des Historikers Ibn al-Athir aus Mosul zum Ausdruck. Er war einer der wenigen Kritiker Saladins unter den zeitgenössischen muslimischen Kommentatoren. Im Rückblick auf einen Kriegsrat zu Beginn des Jahres 1187 schrieb er:
Einer der Emire [Saladins] sagte zu ihm: »Der beste Plan wäre in meinen Augen eine Invasion in ihr Territorium, [und] wenn sich uns die fränkischen Streitmächte entgegenstellen, dann sollten wir gegen sie kämpfen. Die Leute im Osten verwünschen uns und sagen: ›Er kämpft nicht mehr gegen die Ungläubigen, sondern widmet sich nur noch dem Kampf gegen die Muslime.‹ [Wir sollten uns] für ein Vorgehen entscheiden, das uns rechtfertigt und die Leute zum Schweigen bringt.«
Ibn al-Athir
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