Die Kreuzzüge
auf dem Schlachtfeld zu bewaffnen und zu ernähren.
Die Eroberung der Heiligen Stadt hatte noch andere, weniger offensichtliche Folgen. Saladin hatte unter dem Banner des Dschihads alle Muslime geeint. Als nun aber das oberste Ziel dieses Kampfes erreicht war, kamen all die Feindseligkeiten, Unstimmigkeiten und Verdächtigungen, die eine Zeitlang zum Schweigen gebracht werden konnten, allmählich wieder an die Oberfläche. Es dauerte nicht lang, und das Gefühl, ein gemeinsames Ziel zu haben, das die Muslime vor der Schlacht von Hattin für kurze Zeit zusammengeschweißt hatte, löste sich auf. Nach dem historisch so bedeutsamen Erfolg der Eroberung Jerusalems stellten sich mehrere Muslime auch die Frage, worauf Saladin seinen Blick des All-Eroberers wohl als nächstes richten würde, und in Verbindung damit stieg die Furcht auf, dass er selbst sich womöglich als tyrannischer Despot entpuppte, der die etablierte Ordnung umstoßen und das Abbasiden-Kalifat hinwegfegen würde, um eine neue Dynastie, ein neues Reich zu begründen.
Als kurdischer Außenseiter, der eigenmächtig nach der Macht der Zangiden gegriffen hatte, konnte sich Saladin der ungeteilten Unterstützung der türkischen, arabischen und persischen Muslime nie ganz sicher sein. Er war auch kein von Allah legitimierter Herrscher. Um [424] diesen Mangel auszugleichen, hatte der Sultan sich als Verteidiger der sunnitischen Rechtgläubigkeit und als Inbegriff des Mudschahid dargestellt und nachdrücklich für die öffentliche Ausbreitung dieses Selbstbilds gesorgt. Außerdem folgte er der Empfehlung seiner Berater al-Fadil und Imad ed-Din und bemühte sich immer wieder um die Unterstützung des Kalifen an-Nasir in Bagdad, weil ihm diese Rückendeckung das Siegel der Rechtmäßigkeit verschaffte. Nach 1187 setzte der Sultan diese Politik demonstrativer Ergebenheit gegenüber an-Nasir fort, aber da sich nun offen gezeigt hatte, wie groß die Macht der Ajjubiden war, verschärften sich die Spannungen in der Beziehung zum Kalifen deutlich. 1
Die Franken ins Meer treiben?
Saladins oberstes strategisches Ziel Ende 1187 bestand darin, die noch bestehenden lateinischen Vorposten in der Levante einzunehmen und den Vorderen Orient gegen jegliche Kreuzzugsunternehmungen aus Westeuropa abzuschotten. Allerdings war die Aufgabe, die noch bestehenden Überreste fränkischer Macht zu beseitigen, weder schnell noch leicht zu lösen. Nach dem Sieg von Hattin war ein Großteil Palästinas erobert worden, und die wichtigen Häfen Akkon, Jaffa und Askalon waren nun in muslimischer Hand, doch mehrere fränkische Festungen in Galiläa und Transjordanien konnten die Christen noch halten. Und die nördlichen Kreuzfahrerstaaten Tripolis und Antiochia waren noch völlig intakt, auch wenn einer von Saladins möglichen Gegnern, Graf Raimund III. von Tripolis, im September an einer Krankheit gestorben war. Nachdem er dem Schlachtfeld von Hattin entkommen konnte, war er in den Nordlibanon geflohen.
Das vordringlichste Problem war Tyros. Während des Sommers 1187 war die Hafenstadt zu einem Zentrum des lateinischen Widerstands in Palästina geworden, und Saladin hatte vielen tausend christlichen Flüchtlingen erlaubt, sich innerhalb der Stadtmauern von Tyros zu sammeln. Unmittelbar nach dem Sieg von Hattin hätte Saladin Tyros wohl erobern können, wenn nicht Konrad, Graf von Montferrat, den Befehl über die Garnison und die Verteidigung der Stadt übernommen hätte. Konrad stammte aus Norditalien, er war der Bruder des verstorbenen Wilhelm von Montferrat, des ersten Ehemanns Sibyllas von Jerusalem [425] und Vaters Balduins V. Konrad stand im Dienst des damaligen Kaisers von Byzanz Isaak II. Angelos in Konstantinopel. Nachdem er im Frühsommer 1187 einen der politischen Gegner Isaaks ermordet hatte, beschloss er, Konstantinopel zu verlassen und sich auf Pilgerfahrt ins Heilige Land zu begeben. Er traf im Juli 1187 in Palästina ein – zufällig nur wenige Tage nach der Schlacht von Hattin.
Tyros befand sich, als Konrad dort eintraf, in einem verzweifelten Zustand der muslimischen Belagerung. Für die Franken stellte sich Konrads Ankunft als wahrer Segen heraus, für Saladin dagegen als ärgerliche Einmischung. Konrad war äußerst ehrgeizig, ein durchtriebener, skrupelloser Politiker und kompetenter und energischer Befehlshaber; und er ergriff sofort die Gelegenheit, sich die Notlage der Stadt für seinen eigenen Aufstieg zunutze zu machen und die Herrschaft zu übernehmen. Er riss
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