Die Kreuzzüge
zu nutzen, nicht zuletzt zur Neubelebung von Kreuzzugspredigten. Doch hatte der Verkündigungseifer der Mendikanten auch das Potential, die Ziele eines heiligen Krieges zu beeinflussen und in das bekannte Schema von Eroberung und Verteidigung den neuen Aspekt der Umkehr einzubringen. 1
Die Welt des 13. Jahrhunderts brachte neue Ideen und bisher unbekannte Schwierigkeiten mit sich, und der Kreuzzugsgedanke musste in dieser Welt eine andere Funktion bekommen und veränderte Formen annehmen. Die Frage, die sich den Zeitgenossen bald stellte, lautete: Was bedeutet das für den Krieg im Heiligen Land?
PAPST INNOZENZ III.
Der Mann, dem sich diese Frage besonders dringlich stellte, war Papst Innozenz III. – vielleicht der mächtigste und einflussreichste römische Pontifex im gesamten Mittelalter, mit Sicherheit auch unter den Päpsten des Hochmittelalters der aktivste und enthusiastischste Fürsprecher des Kreuzzugsgedankens. Innozenz wurde am 8. Januar 1198 zum Papst gewählt und brachte sofort neuen Schwung in das Amt. In den 17 Jahren davor waren nacheinander nicht weniger als fünf schon betagtere Päpste bald nach ihrer Amtseinsetzung gestorben. Innozenz dagegen war erst 37 Jahre alt, er sprühte vor Eifer und war erfüllt von brennendem Ehrgeiz. Seine Herkunft prädestinierte ihn geradezu für seine neue Rolle. Er entstammte [560] der römischen Aristokratie und verfügte in Mittelitalien über exzellente politische und kirchliche Beziehungen. Außerdem hatte er an den europäischen Hochburgen akademischer Bildung studiert: Kirchenrecht an der Universität Bologna und Theologie in Paris.
Der Zeitpunkt seines Amtsantritts konnte nicht günstiger liegen. Seit den Tagen Gregors VII. und der Reformbewegung des 11. Jahrhunderts war die päpstliche Autorität ständig durch aggressive Übergriffe der deutschen Staufer und Welfen stark eingeschränkt gewesen. Im Jahr 1194 verschärfte sich die missliche Lage, als Kaiser Heinrich VI. (Sohn und Erbe Friedrich Barbarossas) durch Heirat auch noch König von Sizilien wurde, was dazu führte, dass der Kirchenstaat von Norden und Süden her bedrängt wurde. Im September 1197 jedoch starb Heinrich VI. ganz plötzlich an Malaria und hinterließ einen erst dreijährigen Sohn, Friedrich, als Erben. Das Reich der Staufer wurde dadurch plötzlich in eine lähmende dynastische Krise gestürzt, mit der es noch jahrzehntelang zu kämpfen hatte. Das verschaffte dem Papsttum unter Innozenz III. die außergewöhnliche Gelegenheit, auf der europäischen Bühne relativ ungehindert zu operieren. 2
Innozenz’ Vision von päpstlicher Autorität
Papst Innozenz war bemerkenswert überzeugt von der wesensmäßigen – und seiner Ansicht nach gottgewollten – Autorität seines hohen Amtes. Er verstand sich als Stellvertreter Christi auf Erden. Frühere Päpste hatten vielleicht davon geträumt, dass sich ihre Herrschaft tatsächlich und nicht nur theoretisch über die gesamte lateinische Kirche erstreckte; Innozenz’ Bestrebungen dagegen gingen weit über die kirchliche oder religiöse Sphäre hinaus. Nach seiner Auffassung sollte der Papst als Oberhaupt der Kirche über alle abendländischen Christen herrschen, wenn nicht gar alle Christen überhaupt; er sollte der Vollstrecker des Willens Gottes sein, dessen Macht ihn über weltliche Herrscher setzte und ihm die Vollmacht verlieh, Könige und Kaiser zu ernennen und abzusetzen.
Darüber hinaus hatte er eine klare Vorstellung von dem, was er mit seiner absoluten Macht erreichen wollte: die Rückgewinnung Jerusalems. Er war offenbar von einer tiefen, aufrichtigen Liebe zur Heiligen Stadt erfüllt; ein großer Teil seines Pontifikats war in der einen oder [561] anderen Weise den Plänen gewidmet, diese Stadt zurückzuerobern. Allerdings war auch der neue Papst wie viele seiner Zeitgenossen im Abendland vom dürftigen Ergebnis des dritten Kreuzzugs entmutigt. Seiner Meinung nach war es vor allem auf zwei Gründe zurückzuführen, dass es den Kreuzfahrern nicht gelungen war, Jerusalem wiederzuerobern, und er kannte die Lösung für beide.
Danach ließ Gott die Niederlage der Franken in der Levante zu, weil er die offenkundigen Sünden der gesamten lateinischen Christenheit bestrafen wollte. Daher mussten die Reform- und Läuterungsanstrengungen im Abendland verdoppelt werden. Europa war – wenn nötig, mit Gewalt – in einen neuen Zustand der Vollkommenheit zu versetzen: Es musste geistig und politisch unter der gerechten Autorität Roms
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