Die Kreuzzüge
seinem Engagement für den Dschihad, bei seiner Eroberung und Verteidigung Jerusalems um seinen persönlichen Ruhm und Gewinn oder um die größeren Interessen des Islams? Vielleicht kannte nicht einmal der Sultan selbst die Antwort.
[552] Richard Löwenherz in seinen späteren Jahren
Der Ajjubiden-Sultan starb, aber sein Erzfeind Richard Löwenherz wurde in neue Kämpfe verwickelt. Er entging nur knapp einer Katastrophe, als er in einem Sturm vor Venedig Schiffbruch erlitt, und setzte dann seine Heimreise über Land fort. Um seinen europäischen Feinden auszuweichen, reiste er verkleidet; trotzdem wurde er in Wien von seinem alten Rivalen bei der Belagerung von Akkon, Graf Leopold von Österreich, gefangen genommen – offenbar war Richards Versuch, als niedriger Küchengehilfe durchzugehen, fehlgeschlagen, weil er nicht daran gedacht hatte, einen auffallenden juwelenbesetzten Ring abzulegen.
Zur Empörung des gesamten Abendlands wurde er in einer Burg hoch über der Donau mehr als ein Jahr lang gefangen gehalten. Erst nach ausgedehnten Verhandlungen und der Zahlung eines ungeheuerlichen Lösegelds wurde er im Februar 1194 freigelassen. Im späten 13. Jahrhundert erzählte man sich allerdings eine hochromantische Geschichte: Der Minnesänger und Freund des Königs mit Namen Blondel suchte verzweifelt ganz Europa nach dem Verbleib seines angeblich »vermissten« Herrn ab – am Fuß zahlreicher Burgmauern soll er Halt gemacht haben, um ein Lied zu singen, das er mit Richard gemeinsam verfasst hatte. Tatsächlich schrieb der König mindestens zwei melancholische Klagelieder, während er sich in Gefangenschaft befand (beide sind heute noch bekannt), aber die Geschichte von Blondel ist reine Erfindung – eine weitere Schicht der Legenden um Richard Löwenherz.
Entgegen seinen Befürchtungen und trotz seiner langen Abwesenheit stellte Richard bei seiner Rückkehr fest, dass er die Herrschaft über das angevinische Königreich nicht verloren hatte – die treuen Anhänger des Königs hatten Johanns Versuche, eine Rebellion anzuzetteln, vereitelt. Philipp August allerdings hatte Richards Abwesenheit ausgenutzt und mehrere Burgen entlang der Grenze zur Normandie erobert; Richard verbrachte einen Großteil der folgenden fünf Jahre mit Feldzügen gegen die Kapetinger. Er war so beschäftigt mit den Streitigkeiten in Europa, dass er nicht mehr ins Heilige Land zurückkehren konnte. Am Ende des 12. Jahrhunderts dann fiel er seiner Vorliebe für Gefechte an vorderster Front zum Opfer. Während der Belagerung der kleinen Burg Chalus in Südfrankreich wurde er von einem Armbrustbolzen in die Schulter getroffen und schwer verwundet. Die Wunde entzündete sich, und Richard [553] starb am 6. April 1199, im Alter von 41 Jahren. Er wurde in Fontevraud, neben seinem Vater Heinrich II., beigesetzt; sein Herz bestattete man dagegen in Rouen. 11
Die Zeitgenossen behielten Richard Löwenherz als unvergleichlichen Krieger und überragenden Kreuzfahrer in Erinnerung: als den König, der den mächtigen Saladin in die Knie zwang. Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass die Rettung Outremers zu einem guten Teil Richards Verdienst war. Er war tapfer und klug, ein versierter Kämpfer, und er zeigte sich der Herausforderung, dem ajjubidischen Sultan gegenüberzutreten, durchaus gewachsen. Doch neben all seinen Verdiensten im heiligen Krieg hatte der englische König immer damit zu kämpfen, seine diversen Verpflichtungen miteinander zu vereinbaren – er wurde zerrissen zwischen der Notwendigkeit, sein Königreich im Abendland zu verteidigen, und dem Wunsch, in Palästina eine Legende zu begründen. Fatalerweise verstand er außerdem nicht, worin die besondere Natur und Aufgabe der Kreuzzugskriegsführung bestand, und daher war es ihm nicht vergönnt, den dritten Kreuzzug zum Sieg zu führen.
VIERTER TEIL
DER KAMPF UMS ÜBERLEBEN
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[557] ERNEUERUNG
I m Anschluss an den dritten Kreuzzug wurden im Abendland besorgte Fragen zu Wert und Wirksamkeit eines christlichen heiligen Krieges laut. Die »Schrecken« des Jahres 1187 – die Niederlage der Franken bei Hattin und die Wiedereroberung Jerusalems durch die Muslime – hatten in Europa den größten und am besten organisierten Feldzug in den Orient ausgelöst. Die bedeutendsten Könige der lateinischen Christenheit hatten Zehntausende Kreuzfahrer in die Schlacht geführt. Und trotzdem war die Heilige Stadt nach wie vor in der Hand des Islams, und Gleiches galt für die heiligste
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