Die Kreuzzüge
Aristokratie als Berater hinzuzuziehen oder zur Teilnahme zu gewinnen. Er nahm wohl [565] an, dass die Angehörigen dieses Standes sich sozusagen automatisch seiner Sache anschließen würden, erpicht darauf, nach seiner Pfeife zu tanzen – damit befand er sich allerdings im Irrtum, und diese Fehleinschätzung sollte für das Christentum tragische Folgen haben. 3
DER VIERTE KREUZZUG
Im Gegensatz zu den Hoffnungen und Erwartungen des Papstes wurde der vierte Kreuzzug weitgehend von nichtkirchlicher Seite geprägt, von weltlichen Heerführern und von weltlichen Interessen. Erst nachdem zwei prominente französische Fürsten – Graf Thibaut III. von Champagne und sein Vetter Ludwig, Graf von Blois – Ende November 1199 im Rahmen eines Turniers in Écry nördlich von Reims das Kreuz nahmen, breitete sich echter Enthusiasmus aus, und erst danach fanden unter der europäischen Krieger-Elite ausgedehntere Anwerbungenen statt. Im Februar 1200 folgte Graf Balduin von Flandern. Alle drei Männer gehörten zur obersten Schicht des lateinischen Adels und hatten Verbindungen zum englischen und zum französischen Königshaus. Jeder verfügte über einen eindrucksvollen »Kreuzfahrer-Stammbaum«: Viele ihrer Vorfahren hatten im Krieg um das Heilige Land gekämpft. Nun kannten diese Männer zwar offenbar die Kreuzzugspredigten Fulkos von Neuilly, doch es gibt keinen Hinweis darauf, dass sie von einem Repräsentanten des Papstes gezielt aufgefordert worden wären, sich dem Kreuzzug anzuschließen. Natürlich verstanden sie, wie auch die meisten Kreuzfahrer vor ihnen, ihre Teilnahme am Kreuzzug als Reaktion auf einen Ruf zu den Waffen, der vom Papst ausging und sanktioniert wurde – doch sie empfanden offenbar kein besonderes Bedürfnis, sich in Kooperation mit Rom auf ihre Unternehmung vorzubereiten oder diese dann später durchzuführen. Das führte zu einem besorgniserregenden Auseinanderdriften zwischen ihrer eigenen Einstellung und den hochfliegenden Idealen des Papstes.
Unheilträchtige Umwege
Im April des Jahres 1201 handelte eine Gruppe von Vertretern der Kreuzfahrer im Auftrag von Thibaut, Ludwig und Balduin mit der italienischen See- und Handelsgroßmacht Venedig einen unheilvollen Vertrag [566] aus. Man gab die Herstellung einer riesigen Flotte in Auftrag, die 33 500 Kreuzfahrer und 4500 Pferde über das Mittelmeer transportieren sollte; der Preis dafür wurde auf 85 000 Silbermark festgesetzt. Wegen dieses umfangreichen Auftrags unterbrachen die Venezianer zeitweise ihre anderweitigen Handelstätigkeiten und steckten ihre gesamte Energie in die rasche Herstellung der erforderlichen Zahl von Schiffen.
Dieses Programm stand von Anfang an auf tönernen Füßen. Die Gewohnheit, für die Anreise ins Heilige Land Schiffe zu benutzen, hatte sich während des dritten Kreuzzugs durchgesetzt, als die englischen wie auch die französischen Truppen per Schiff in das Kriegsgebiet transportiert wurden. Allerdings war die Seereise kostspielig und verlangte im Unterschied zur Landroute gewaltige Anfangsinvestitionen. Die für den dritten Kreuzzug eingesetzten Schiffe waren aus königlichen Kassen bezahlt worden, und selbst damals war es nicht leicht gewesen, die erforderlichen Mittel zusammenzubekommen. Da nun kein gekröntes Haupt beteiligt war, geriet der vierte Kreuzzug unvermeidlich in Schwierigkeiten, als es darum ging, die Rechnung der Venezianer zu begleichen. Außerdem ging der Vertrag von der unrealistischen Annahme aus, dass jeder Lateiner, der das Kreuz nahm, bereit war, von einem einzigen Hafen an einem festgesetzten Termin aufzubrechen; dabei hatte es bisher noch nie einen allgemeinen und gemeinsamen Aufbruch gegeben, und das Kreuzzugsgelübde umfasste auch nicht die Verpflichtung, sich in Venedig einzuschiffen.
Der Plan hätte trotzdem aufgehen können, wenn die weltlichen Aristokraten ihre Bemühungen mit dem Papst abgestimmt und einen übergreifenden Ruf zu den Waffen organisiert hätten – doch es scheint, als habe man den Vertrag mit Venedig mit dem Papst nicht einmal besprochen. Da dieser feststellen musste, dass ihm jeglicher Anschein von Kontrolle über die Unternehmung immer mehr entglitt, gab er widerwillig sein Einverständnis. Von da an sah er sich zwischen zwei widerstreitenden Impulsen eingeklemmt: dem Bedürfnis, den Kreuzzug unter seine Kontrolle zu bekommen, indem er seine Unterstützung zurückzog; und der noch nicht aufgegebenen Hoffnung, dass es der Unternehmung doch noch vergönnt sein möge,
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