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Die Kreuzzüge

Die Kreuzzüge

Titel: Die Kreuzzüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Asbridge , Susanne Held
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Reliquie der Christen, das Wahre Kreuz. Bedenkt man die Opfer an Menschenleben, die Enttäuschungen und die horrenden Kosten, die zwischen 1188 und 1192 zu bewältigen waren und dann am Ende doch nicht zu einem echten Sieg geführt hatten, dann war es unvermeidlich, dass die lateinische Christenheit die Idee des Kreuzzugs, dieser besonderen Form des heiligen Krieges, neu überdachte – dass sie den Blick auf ihren eigenen inneren Zustand richtete, um sich Theorie und Praxis des Kampfes im Namen Gottes einmal mehr zu vergegenwärtigen und neu zu formulieren.
    WANDEL IM LATEINISCHEN WESTEN
    Grundlegende Veränderungen im lateinischen Europa trugen ebenfalls dazu bei, die Neuausrichtung der christlichen Idee vom heiligen Krieg in Gang zu bringen. Die Welt des 11. und frühen 12. Jahrhunderts hatte das Phänomen Kreuzzug hervorgebracht und ausformuliert. Aber an der Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert befanden sich dann viele entscheidende Bereiche der abendländischen Gesellschaft in Bewegung: Aufgrund der zunehmenden Urbanisierung veränderten sich die Bevölkerungsstrukturen, [558] soziale Mobilität wurde begünstigt, die Schicht der Kaufleute gewann an Einfluss, und in einigen Ländern wie Frankreich erstarkte die zentralisierte Macht des Königtums. Noch markanter waren die damit zusammenhängenden Veränderungen in der intellektuellen und religiösen Landkarte Europas. Von Anfang an stützte sich der Kreuzzugsenthusiasmus darauf, dass fast alle lateinischen Christen ein überwältigendes Bedürfnis nach Sündenvergebung hatten. Im Lauf des 12. Jahrhunderts allerdings veränderte sich die Einstellung zu Buß- und Opferbräuchen, und neue Antworten auf die Frage, was unter einem »guten christlichen Leben« eigentlich zu verstehen sei, begannen sich in der lateinischen Christenheit zu verbreiten.
    Eine Veränderung bestand darin, dass allmählich innere Formen von Religiosität gegenüber der äußeren Demonstration von Frömmigkeit an Gewicht gewannen. Zum ersten Mal im Mittelalter wurde das, was der Einzelne wirklich dachte, fühlte und glaubte, wichtiger als das, was er nach außen hin sagte und tat. Damit zusammenhängend kam eine andere Bewegung auf: Die Beziehung des Menschen zu Gott, zu Jesus Christus wurde in persönlichere, direktere, »verinnerlichte« Begriffe gefasst. Diese Vorstellungen hatten das Potential, das überkommene Gerüst der mittelalterlichen Religion umzustoßen. Eine Erlösungshandlung wie das Pilgern etwa – einer der Grundpfeiler des Kreuzzugsgedankens – erschien jetzt erheblich weniger sinnvoll, weil das eigentlich Entscheidende die im Herzen vollzogene Reue war. Und wenn, wie mittlerweile viele Theologen lehrten, Gottes Gnade in Allem und Jedem gegenwärtig war, warum sollte es dann erforderlich sein, eine Reise um die halbe Welt auf sich zu nehmen, um an einem Ort wie Jerusalem Seine Vergebung zu erlangen? Es dauerte noch viele Jahre, bis sich diese geistesgeschichtliche Revolution mit ganzer Wucht in der abendländischen Christenheit durchsetzte, aber erste Anzeichen ihres Einflusses machten sich im 13. Jahrhundert bereits bemerkbar.
    Um das Jahr 1200 herum stand das lateinische Christentum außerdem dringlicheren Belastungen gegenüber, an erster Stelle der Häresie. Früher war Europa eine Festung der Rechtgläubigkeit und Einigkeit gewesen, aber in den letzten 100 Jahren hatte das Abendland einen Ausbruch »häretischer« Glaubensrichtungen und Bewegungen erlebt, der fast epidemische Ausmaße annahm. Das reichte von den vergleichsweise harmlosen aufwieglerischen Hetzreden nicht ordinierter Prediger bis [559] zur Verbreitung hochkomplexer, differenziert ausgeprägter alternativer Glaubensrichtungen, wie etwa der dualistischen Katharer, die an zwei Mächte glaubten, das Gute und das Böse in der Welt. Sie leugneten, dass Christus wirklich als Mensch in einem menschlichen Körper gelebt hatte, und verwarfen daher auch die wichtigsten Glaubensinhalte wie Kreuzigung, Erlösung und Auferstehung. Neben denen, die als Häretiker abgeurteilt wurden, gab es neue Gemeinschaften, die der Grenze zur Häresie gefährlich nahekamen. Ihnen gelang es trotzdem, vom Papst anerkannt zu werden. Dazu gehörten die Bettelorden der Franziskaner und der Dominikaner, die sich für Einfachheit und Armut einsetzten und ihre Aufgabe darin sahen, den Gläubigen Gottes Wort mit neuem Nachdruck und in neuer Klarheit zu vermitteln. Schnell bemühte sich die Kirche, den Predigtschwung der Bettelorden für sich

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