Die Kreuzzüge
ergossen; beim Aufwachen fanden die Kreuzfahrer [596] Fische in ihren Zelten. Die schlechte Ernährung führte zum Ausbruch von Skorbut. Oliver von Paderborn beschrieb, wie bei den Befallenen »absterbendes Fleisch Zähne und Zahnfleisch überdeckte«, so dass sie »nicht mehr kauen konnten, und an den Schienbeinen verursachte es schreckliche schwarze Flecken«. Jakob von Vitry erinnerte sich an Kreuzfahrer, die an dieser auszehrenden Krankheit litten und in ein tödliches Koma fielen, »als würden sie einschlafen«. Es hieß, alle Christen hätten den Anblick von Sand nicht mehr ertragen können und nach grünen Wiesen gelechzt. Natürlich litten auch die Bewohner von Damiette sowie al-Kamil in seinem Lager im Süden. Anfang 1219 wurde er gezwungen, nach Kairo zurückzukehren, um einer Verschwörung zuvorzukommen, aber sein Bruder al-Muazzam eilte ihm zu Hilfe, und die Gefahr wurde abgewendet. Al-Kamil kehrte zum Ort der Belagerung zurück, bevor die Franken ihren Vorteil nutzen konnten. 4
Stillstand
Die ersten acht Monate des Jahres 1219 brachten keine neue Entwicklung. Die Kreuzfahrer hatten zwar dafür gesorgt, dass ihre Seite des Nils ausreichend befestigt war, um vor einem Angriff sicher zu sein, doch es fehlten ihnen die Truppen und die Mittel, um entweder die Verteidiger von Damiette zu besiegen oder al-Kamil zu vertreiben. Ihre Lage verschlechterte sich noch, als ein weiteres Truppenkontingent im Mai nach Europa zurückkehrte. Während dieser ganzen Zeit richteten sich alle Hoffnungen auf die baldige Ankunft Friedrichs II. Sämtliche Kreuzfahrer und auch Pelagius rechneten damit, dass der Staufer an der Spitze eines riesigen, unbezwinglichen Heeres eintreffen werde, das den gesamten ajjubidischen Widerstand zu Staub zermalmen würde. Allerdings war Friedrich nach wie vor in Europa und stritt sich mit dem Papst wegen seiner Krönung, und dann traf die Nachricht in Ägypten ein, dass er frühestens im März 1220 zum Kreuzzug stoßen würde. Jakob von Vitry beschrieb die Reaktion der Kreuzfahrer: »Die meisten unserer Männer ergriff tiefe Verzweiflung.« 5
In diese Zeit fiel der Besuch einer der seltsamsten Gestalten, die je an den Schauplätzen der Kreuzzugskriege aufgetaucht waren. Im Sommer 1219 traf der allseits verehrte lebende Heilige Franz von Assisi im Lager der Christen ein, Bettelmönch und Verfechter konsequenter Armut und [597] von einer visionären Religiosität. Er hatte sich in den zerlumpten Kleidern eines heiligen Mannes auf den Weg nach Ägypten gemacht und hoffte, der Welt Frieden zu bringen (und dem Kreuzzug zum Erfolg zu verhelfen), indem er die Muslime zum Christentum bekehrte. Er überquerte die feindlichen Linien in der Funktion eines Unterhändlers und bat die befremdeten ägyptischen Soldaten, ihn zu al-Kamil zu bringen. Sie hielten ihn für einen verrückten, aber harmlosen Bettler und taten, was er von ihnen verlangte. In dem bizarren Zusammentreffen, das sich nun anschloss, lehnte al-Kamil höflich das Angebot des heiligen Franziskus ab, die Macht des christlichen Gottes dadurch zu beweisen, dass er durch Feuer ging, und der Heilige kehrte unverrichteter Dinge nach Hause zurück.
Trotz dieses bemerkenswerten Zwischenspiels zog sich die Belagerung weiter hin, und der Spätsommer brachte weitere Strapazen mit sich. Der Erfolg der Ernte in Ägypten war seit jeher von der Höhe der jährlichen Nilschwemme abhängig. In jenem Jahr war der Fluss in vielen Gebieten nicht über seine Ufer getreten, was zu unerhörter Teuerung beim Getreide und zu Hungersnöten führte. Im September musste al-Kamil einsehen, dass die erschöpfte Garnison von Damiette am Rand des Zusammenbruchs stand; daher bot er den Kreuzfahrern Friedensverhandlungen an. Als Gegenleistung für ein Ende der Belagerung versprach er, Jerusalem und fast ganz Palästina an die Franken zurückzugeben; möglicherweise stellte er auch die Rückgabe des Wahren Kreuzes in Aussicht. Die Festungen Kerak und Montreal in Transjordanien sollten in ajjubidischer Hand bleiben, doch die Muslime wollten dafür einen beträchtlichen jährlichen Tribut entrichten.
Dieses außerordentliche Angebot bestätigte, dass die eigentlichen Prioritäten der Ajjubiden in Ägypten und Syrien lagen und nicht in Palästina. Der Vorschlag schien ganz dazu angetan zu sein, das Heilige Land wieder dem Regiment der Christen zu unterstellen und dem Königreich Jerusalem und ganz Outremer neues Leben einzuhauchen. An diesem kritischen Wendepunkt aber wurden
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