Die Kreuzzüge
zuvor wurde dergleichen zu Wasser eingesetzt« –, und die Franken benutzten diese schwimmende Festung, um am 24. August 1218 einen erfolgreichen Angriff durchzuführen. Sie schnitten die Kette
durch und gewannen Zugang zum Fluss.
Die Überlegenheit der Franken in jenem Sommer war offensichtlich. Ihr Angriff auf Ägypten hatte al-Adil nicht nur überrascht, er fiel auch in die gleiche Zeit wie ein störender, wenn auch letztlich unwirksamer Versuch von Saladins exiliertem Sohn al-Afdal, mit Hilfe von Seldschuken aus Anatolien die Herrschaft über Aleppo an sich zu reißen. Al-Adil hatte den Sommer damit zubringen müssen, die Verhältnisse in Syrien wieder zu ordnen, und auf dem Rückmarsch nach Ägypten wurde er krank und starb am 31. August. Als die Kreuzfahrer von seinem Tod erfuhren, glaubten sie, der Schreck über ihren jüngsten Erfolg am »Kettenturm« hätte ihn umgebracht, und Oliver folgerte aufgeräumt, dass der verblichene Sultan »in der Hölle begraben« werde. Al-Adil war ein großer Kämpfer für die Sache der Ajjubiden gewesen. Sein Tod schwächte den Islam zwar, aber er führte nicht zu einem Zusammenbruch des muslimischen Widerstands. Al-Kamil war durchaus imstande, die Lücke auszufüllen, die sein Vater hinterlassen hatte – die einzige Frage war, ob die Brüder al-Kamils, al-Muazzam in Damaskus und al-Ashraf in der Dschazira, ihn unterstützen würden. Wenn nicht, musste al-Kamil sich entscheiden, wo seine Prioritäten lagen: in der Abwehr der Kreuzfahrer oder in der Sicherung seiner Macht innerhalb des ajjubidischen Reiches. 3
Kardinal Pelagius
Die Vormachtstellung der Kreuzfahrer im Spätsommer des Jahres 1218 geriet allerdings schnell ins Wanken. Zum Teil lag das an der neuen Organisation des Kreuzzugs. Dank der administrativen und finanziellen Reformen, die Papst Innozenz III. eingeführt hatte, war das ganze Unternehmen relativ solide finanziert und wurde ständig von einer großen Flotte unterstützt und begleitet. Das bot den Kreuzfahrern die Möglichkeit, [595] ohne größere Umwege nach Europa zurückzukehren, während ja auch immer wieder neue Truppenkontingente aus dem Westen eintrafen, um sie zu ersetzen. Auf den ersten Blick scheint das eine vernünftige Regelung gewesen zu sein, wodurch die Unternehmung durch ständigen Nachschub an ausgeruhten Kräften immer wieder regeneriert werden konnte, aber in Wirklichkeit wirkte sie sich auf die Befindlichkeit der Franken, die an der Front zurückblieben, eher ungünstig aus und erschwerte die Entstehung von freundschaftlichen und familiären Beziehungen unter den Kreuzfahrern, die für die früheren Unternehmungen so wichtig gewesen waren.
Mit dem Kommen und Gehen lateinischer Truppen wechselten auch die Befehlshaber und die von ihnen vertretenen Strategien. Im Spätsommer 1218 brachen sehr viele deutsche und friesische Kreuzfahrer wieder in die Heimat auf. Gleichzeitig traf der spanische Kleriker Pelagius, Kardinal von Albano, im Lager der Kreuzfahrer ein; mit ihm kamen Truppen aus Frankreich, England und Italien. Pelagius, ein energischer, sturer Charakter, stieß als päpstlicher Legat zur Belagerung von Damiette mit der festen Absicht, die Vorstellung Innozenz’ III. von einem Kreuzzug unter kirchlicher Führung umzusetzen. Einige moderne Historiker stellten dem Kardinal ein vernichtendes Zeugnis aus; in einer Untersuchung heißt es sogar, er sei »hoffnungslos kurzsichtig [und] ungewöhnlich halsstarrig« gewesen. Außerdem habe er sofort den Oberbefehl über den gesamten fünften Kreuzzug an sich gerissen. Das ist beides nicht ganz zutreffend. In Wirklichkeit nahmen Autorität und Einfluss des Pelagius nur allmählich zu, und zumindest zu Beginn kooperierte er noch erfolgreich mit anderen führenden Aristokraten wie Johann von Brienne. Die Anwesenheit eines hohen Würdenträgers der Kirche ließ außerdem unter den Kreuzfahrern ein neues Gefühl religiöser Hingabe aufkommen und hob die Moral und die seelische Verfassung. Das sollte in den bevorstehenden Strapazen eine wichtige Rolle spielen.
In den Monaten nach Pelagius’ Ankunft mussten die Lateiner eine Mühsal auf sich nehmen, die schon einigen Kreuzfahrertruppen vor ihnen schwer zu schaffen gemacht hatte: eine Belagerung im Winter. Zusammengedrängt am Westufer des Nils, gegenüber der Stadt Damiette, hatten sie schreckliche Qualen durchzustehen. In der Nacht des 29. November verursachten Wirbelstürme auf dem Meer, dass sich die Wellen bis ins fränkische Lager
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