Die Kreuzzüge
Weitermarsch in Richtung Süden passierten die Franken achtlos einen kleinen Nebenfluss, der aus westlicher Richtung in den Nil mündete. Das war ein verhängnisvoller Fehler. Bei dem scheinbar harmlosen »Nebenfluss« handelte es sich um den Mahalla-Kanal, einen Wasserlauf, der sich einige Kilometer weiter südlich wieder mit dem Nil vereinigte. Als das Kreuzfahrerheer an der Mündung vorübergezogen war, schickte al-Kamil ein paar seiner eigenen Schiffe den Kanal hinauf und dann in den Nil, um jegliche Rückzugsbemühungen zu vereiteln. Al-Kamil ging sogar so weit, vier seiner eigenen Schiffe zu versenken, damit der Fluss nicht mehr passiert werden konnte. Um den 10. August bezogen die Christen ihre Stellung vor Mansourah, in der Gabelung zwischen dem Nil und dem Tanis. Ungefähr zur selben Zeit trafen al-Ashraf und al-Muazzam in Ägypten ein und zogen mit ihren Truppen Richtung Nordosten, womit sie jeglichen Rückzugsweg zu Land abschnitten. Kurz darauf setzte die Überschwemmung ein.
Die Stellung der Kreuzfahrer war nicht mehr lange zu halten. Mit dem Steigen der Wasser wurde die Flotte unmanövrierbar, und einige [602] überladene Schiffe begannen zu sinken. Eine Zeitlang wurde erwogen, ein befestigtes Lager aufzuschlagen und auf Verstärkung zu warten, doch am Abend des 26. August war die Lage so verzweifelt, dass es zu einem überstürzten chaotischen Rückzug kam, nur die Templer in der Nachhut bewahrten noch einen Rest an Disziplin. Nun befahl al-Kamil, die Deichtore zu öffnen, was dazu führte, dass die Felder überschwemmt und seine Feinde noch mehr isoliert wurden – das Terrain war so stark überflutet, dass die Franken bis zu den Hüften im Wasser wateten. Nachdem sie einen fürchterlichen Tag lang versucht hatten, sich in Richtung Norden fortzuschleppen, musste Pelagius eingestehen, dass ihre Stellung nicht mehr zu halten war, und bat am 28. August 1221 um Friedensverhandlungen.
Zweimal war ihm Jerusalem angeboten worden. Nun mussten er wie auch die anderen Anführer des Kreuzzugsheers sich mit einer vernichtenden Niederlage abfinden. Al-Kamil behandelte die Franken mit ausgesuchtem Respekt – er wollte die ganze leidige Angelegenheit zu einem schnellen Ende bringen, damit er sich endlich der Sicherung seiner Herrschaft über Ägypten zuwenden konnte –; dennoch verlangte er die sofortige Rückgabe Damiettes und die Freilassung sämtlicher muslimischer Gefangener. Das einzige Zugeständnis an die Franken sah vor, dass der achtjährige Friedensvertrag zwischen den lateinischen Christen und den Ajjubiden sich nicht auf den kürzlich gesalbten Kaiser Friedrich II. beziehen sollte. Am 8. September zog al-Kamil dann in Damiette ein, er reklamierte für sich die Herrschaft über die Nilregion, und in den Wochen danach verließen die Franken Ägypten mit leeren Händen.
DER KREUZZUG FRIEDRICHS II.
Diese für die Teilnehmer des fünften Kreuzzugs vernichtende Schicksalswende löste in der gesamten lateinischen Christenheit in den frühen 1220er-Jahren heftige Kritik aus. Dem Kardinal warf man Unfähigkeit und Dummheit in der Heerführung vor – einige Kritiker sahen in seinem Scheitern in Ägypten lediglich ein Symptom dafür, dass schon die Vorstellung eines von der Kirche selbst geführten Kreuzzugs, wie sie Papst Innozenz III. vorgeschwebt hatte, prinzipiell verfehlt war. Johann von Brienne wurde dafür getadelt, dass er seine Rolle als Oberbefehlshaber [603] im Feld vernachlässigt und zugelassen hatte, dass der Kreuzzug im Jahr 1220 und danach tatenlos bei Damiette feststeckte. Die schwersten Vorwürfe wurden allerdings gegen Friedrich II. erhoben, den großen Kaiser, der trotz all seiner Versprechen nie in Nordafrika eingetroffen war. Sogar im Jahr 1221 hatte er seinen Aufbruch noch einmal verschoben; politische Unruhen in Sizilien hielten ihn auf, und im Spätsommer, nach der Katastrophe am Nil und dem Ende des Kreuzzugs, war es dann zu spät, um noch etwas zu unternehmen. 8
Friedrich hatte deutlich zu erkennen gegeben, dass er zunächst und vor allem sein Reich verteidigen, festigen und ausweiten wolle. Für einen mittelalterlichen Monarchen war dies nichts Ungewöhnliches. Dieselben Zwänge königlicher Herrschaftssicherung hatten die Kreuzfahrerlaufbahn Heinrichs II. und Richards I. von England und auch diejenige Philipp Augusts von Frankreich bestimmt. Im Grunde hatten aus einem gewissen Blickwinkel Friedrichs Engagement und sein entschiedener Ehrgeiz durchaus ihr Gutes. In der Zeit nach
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