Die Kreuzzüge
unterdessen die alleinige Befehlsgewalt über die verbleibenden fränkischen Truppen und tat sein Bestes, die Disziplin aufrechtzuerhalten. Irgendwann um diese Zeit ließ der Kardinal ein mysteriöses arabisches Buch, das den Kreuzfahrern angeblich von syrischen Christen überlassen worden war, übersetzen und den Kreuzfahrern vorlesen. Es soll sich um eine Sammlung von im 9. Jahrhundert niedergeschriebenen Prophezeiungen gehandelt haben, die sich auf Offenbarungen des Apostels Petrus beriefen. Das Buch schien die Ereignisse des dritten Kreuzzugs »vorherzusagen«, so auch die Eroberung von Damiette. Außerdem wurde darin verheißen, dass der fünfte Kreuzzug unter der Führung eines »großen Königs aus dem Westen« siegreich [600] enden werde. Die ganze Episode mutet phantastisch an, doch Oliver von Paderborn und Jakob von Vitry nahmen die »Prophezeiungen« des Buches sehr ernst. Sicher hat Pelagius die Voraussagen dazu benutzt, seine fortgesetzte Weigerung zu rechtfertigen, mit den Ajjubiden zu verhandeln, sowie die hartnäckige Geduld, mit der er die Ankunft Friedrichs II. erwartete. 7
Schließlich, am 22. November 1220, gab Papst Honorius III. Friedrichs Forderungen nach und salbte ihn zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches. Als Gegenleistung erneuerte Friedrich sein Kreuzzugsgelübde. Zum Frühlingsanfang 1221 schien nun dem fünften Kreuzzug tatsächlich ein neuer Morgen zu dämmern. Im Mai traf ein erster Schub staufischer Kreuzritter unter dem Kommando Ludwigs von Baiern ein, und ermutigt von dieser Verstärkung entschloss sich Pelagius nun endlich, in den Süden vorzustoßen und al-Kamils mittlerweile solide befestigtes Lager bei Mansourah anzugreifen. Fatalerweise wurde dieser Plan nur höchst stümperhaft umgesetzt. Die Entscheidung war zwar gefallen, aber das veranlasste die Christen durchaus nicht zu sofortigem Handeln; der Vormarsch begann vielmehr erst am 6. Juli 1221. Am nächsten Tag kehrte Johann von Brienne nach Ägypten zurück und schloss sich den Truppen des Pelagius und Ludwigs an. Ein Teil der Kreuzfahrer wurde zur Verteidigung von Damiette zurückgelassen, doch die Lateiner verfügten auch dann noch über immerhin rund 1200 Ritter, ungefähr 4000 Bogenschützen und zahlreiche Fußsoldaten. Außerdem wurde der Marsch in den Süden am Ostufer des Nils von einer umfangreichen Flotte begleitet.
Das Problem bestand darin, dass Pelagius kaum Kenntnis von dem Gebiet um Mansourah hatte und offenbar völlig ahnungslos war, was die Strömungsverhältnisse im Nildelta betraf. Ganz anders al-Kamil: Er hatte den Standort für sein neues Lager mit großer Umsicht gewählt. Es lag unmittelbar südlich der Abzweigung eines Nebenflusses, des in den Mansallah-See mündenden Tanis, und war praktisch uneinnehmbar. Außerdem wäre jedes angreifende Heer zwischen zwei Wasserläufen eingeschlossen gewesen. Die jährliche Nilschwemme stand ebenfalls unmittelbar bevor. Wenn die Kreuzfahrer sich also weiterhin so schleppend vorwärtsbewegten, dann würde ihr Angriff nicht von muslimischen Schwertern, sondern von den unaufhaltsamen Fluten des großen Flusses aufgehalten.
[601] Vielleicht zielte al-Kamil genau auf eine solche Verzögerung, als er nun sein Friedensangebot zu denselben Bedingungen wiederholte, die er bereits im Jahr 1219 vorgetragen hatte. Ein Aufschub der Feindseligkeiten wäre ihm auch deshalb gelegen gekommen, weil er dringend die Ankunft von Verstärkungstruppen unter al-Ashraf und al-Muazzam erwartete. Doch trotz Meinungsverschiedenheiten – und Warnungen von Seiten der Templer und Johanniter wegen der zunehmenden Konzentration ajjubidischer Streitkräfte in Ägypten – verweigerte sich Pelagius den Verhandlungen erneut, und die Kreuzfahrer setzten ihren Marsch fort. Ob al-Kamil sich in diesem späten Stadium tatsächlich auf irgendwelche Verhandlungen eingelassen hätte, ist nicht mehr festzustellen.
Um den 24. Juli langten die Franken bei der Siedlung Sharamsah an, sie waren jetzt nur noch wenige Tagesmärsche von Mansourah entfernt. Bei Sharamsah schlugen sie einen Angriff der Muslime zurück, was offenbar die Stimmung der Truppe merklich hob. Da aber die Nilschwemme unmittelbar bevorstand, riet Johann von Brienne zu einem sofortigen Rückzug nach Damiette. Sein Rat wurde von Pelagius abgeschmettert, der nun offenbar völlig überzeugt war, dass die Lateiner vor einem entscheidenden Sieg standen. In Wirklichkeit aber marschierten sie in eine sorgfältig vorbereitete Falle.
Bei ihrem
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