Die Kreuzzüge
die ersten klaren Anzeichen von Uneinigkeit unter den Führern des Feldzugs sichtbar. Johann von Brienne und der Deutsche Orden sprachen sich ebenso wie viele Kreuzfahrer nachdrücklich für diese Lösung aus. Letztendlich aber setzte sich die Ansicht des Kardinals Pelagius durch, der von den Templern, den Johannitern und den Venezianern unterstützt wurde, und das Angebot [598] al-Kamils wurde abgelehnt. Es wurden berechtigte Bedenken vorgetragen, dass ein fränkisches Königreich ohne seine transjordanischen Festungen nur noch schlecht zu verteidigen war – obwohl realistischerweise zugegeben werden musste, dass Kerak und Montreal genau die gleiche Bedeutung für al-Kamil hatten: die Aufrechterhaltung sicherer Verkehrsverbindungen zwischen Ägypten und Damaskus. Bei den Venezianern kam wohl noch dazu, dass sie mehr Interesse am kommerziellen Potential von Damiette als an der Zurückgewinnung Jerusalems hatten. Den Ausschlag bei der Entscheidung des Kardinals gab wohl die feste Überzeugung, Friedrich II. werde bald eintreffen und man könne dadurch noch größere und deutlichere Vorteile erzielen.
Nach dem Ende der Verhandlungen brachte das Ende des Sommers eine weitere störende Runde von Aufbrüchen und Neuankünften im Kreuzfahrerheer mit sich. Anfang November 1219 unternahm al-Kamil mit einer größeren Offensive einen letzten Versuch, die Franken zu vertreiben, aber seine Truppen wurden zurückgeschlagen. Die Bevölkerung von Damiette war mittlerweile in einem verzweifelten Zustand. In der Nacht des 5. November bemerkten einige italienische Kreuzfahrer, dass einer der teilweise zerstörten Türme der Stadt unbesetzt war. Sie begaben sich mit einer Sturmleiter schnell zu den Mauern, stiegen hinauf und forderten kurz danach weitere Männer auf, ihnen zu folgen. Innerhalb der Stadtmauern bot sich den Lateinern ein entsetzlicher Anblick. Oliver beschrieb, dass »die Straßen übersät waren mit den Toten, die an Seuchen gestorben und verhungert waren«; bei der Durchsuchung der Häuser stießen die Franken auf entkräftete Muslime, die neben Leichen in ihren Betten lagen. Die 18 Monate anhaltende Belagerung der Kreuzfahrer hatte von den Verteidigern einen schrecklichen Tribut gefordert – Zehntausende waren umgekommen. Dennoch feierten die Franken den langersehnten Erfolg und erbeuteten große Mengen Gold, Silber und Seide. Jakob von Vitry beaufsichtigte währenddessen die sofortige Taufe der überlebenden muslimischen Kinder. 6
Sobald al-Kamil von der Einnahme erfuhr, zog er sich eilig am Nil entlang 60 Kilometer südlich nach Mansourah zurück. Er hatte nun mehr als genug Zeit, seine Verteidigungstruppen aufzustellen, weil Unschlüssigkeit den fünften Kreuzzug so unmittelbar nach seinem großen Erfolg lähmte. Der erste strittige Punkt war Damiette selbst. Johann von Brienne erhob Anspruch darauf, er ließ später sogar Münzen prägen, die [599] sein Recht auf die Stadt unterstrichen, doch Pelagius forderte Damiette (und den Löwenanteil der Beute) für das Papsttum und Friedrich II. ein. Man konnte sich schließlich auf einen vorläufigen Kompromiss einigen, und Johann durfte die Stadt bis zum Eintreffen des deutschen Königs behalten.
Noch umstrittener war die Frage nach dem weiteren Vorgehen. Der Angriff auf Damiette war nur Mittel zum Zweck gewesen, und nun folgten erbitterte Auseinandersetzungen über die nächsten Schritte. Sollte die Stadt als Bestandteil im Rahmen von Verhandlungen benutzt werden, mit denen die Rückgabe des Heiligen Landes zu noch günstigeren Bedingungen zu erzielen war, als sie bereits angeboten worden waren? Oder sollte der fünfte Kreuzzug sich zu einem ausgedehnten Angriff auf ganz Ägypten aufmachen, nilaufwärts marschieren, al-Kamil überwältigen und Kairo erobern?
Der Griff nach dem Sieg
In einem bislang ungekannten Zustand beklagenswerter Unentschlossenheit verbrachten die Teilnehmer des fünften Kreuzzugs die nächsten 18 Monate in ihrem Lager bei Damiette und erwogen diese Fragen – ständig heimgesucht von der Vorstellung, Friedrich II. werde bald eintreffen. Johann von Brienne verließ Ägypten, unter anderem weil er Anspruch auf die Krone des kilikischen Armeniens erheben wollte, nachdem König Leon I. gestorben war, aber auch, um die Verteidigung Palästinas gegen neuerliche Angriffe al-Muazzams zu organisieren. Als er jedoch auch nach Monaten noch nicht zurückgekehrt war, erntete Johann herbe Kritik von Seiten der Kreuzfahrer.
In Damiette übernahm Pelagius
Weitere Kostenlose Bücher