Die Kreuzzüge
23-jähriger Ritter namens Jean de Joinville, der den Titel eines Seneschalls von Champagne geerbt hatte (ein Seneschall fungierte zu dieser Zeit als Stellvertreter seines Herrn). Jean erlebte während des Kreuzzugs seinen König aus nächster Nähe und war unmittelbarer Zeuge des heiligen Krieges. Viele Jahre später verfasste er einen sehr anschaulichen Bericht über alles, was er gesehen und erlebt hatte, allerdings stellte er den [623] König in sehr heroischem Licht dar. Joinvilles Aufzeichnungen in altfranzösischer Sprache – eine Mischung aus persönlicher Erinnerung und Königsvita mit hagiographischen Zügen – bieten viele aufschlussreiche Einsichten in die Erlebniswelt der Kreuzfahrer. 2
Aus Joinvilles Aufzeichnungen und zahlreichen weiteren zeitgenössischen Berichten geht hervor, dass Ludwig IX. die Vorbereitungen für den Kreuzzug mit großem Nachdruck betrieb. Die verschiedenen Maßnahmen verraten kluge Vorausplanung und einen ausgeprägten Sinn für Details. Außerdem wird deutlich, dass der König überzeugt war, der Erfolg des Kreuzzugs hänge genauso von praktischen wie von spirituellen Erwägungen ab.
Er betrieb die logistischen Vorbereitungen mit bemerkenswerter Nüchternheit und bediente sich dabei des zunehmend perfektionierten französischen Verwaltungsapparats des 13. Jahrhunderts. Nichts lag ihm ferner, als im Orient ein schlecht organisiertes Heer anzuführen, dessen Hauptbeschäftigung in der Suche nach Nahrungsmitteln bestand. Zypern wählte er als Vorposten aus, und dort ließ er ein Lager für die Nahrungsmittel, Waffen und sonstigen Hilfsgüter errichten, die ihm für den Krieg erforderlich schienen. Nach über zweijährigem Aufhäufen von Vorräten auf der Insel glichen die Weizen- und Gerstemengen, die nun auf das Heer warteten, einem Gebirge, während die zusammengetragenen Weinfässer aus der Ferne wie Scheunen aussahen. Aigues-Mortes, ein neu befestigter Hafen am Mittelmeer, diente als Operationsbasis für die gesamte Unternehmung.
Diese fieberhaften Aktivitäten kosteten ein Vermögen. Das kapetingische Königshaus engagierte sich in außerordentlichem Ausmaß für den Kreuzzug; Ludwig stellte eine gut gefüllte Kriegskasse zur Finanzierung der Kampagne bereit. Aus Haushaltsunterlagen des königlichen Hofes geht hervor, dass seine Ausgaben sich in den ersten beiden Jahren auf 2 Millionen livres tournois (Gold-»Pfund« von der Höhe des in Tours gebräuchlichen Gewichts) beliefen; ein großer Anteil davon wurde als Lohn oder Unterstützung an französische Ritter ausbezahlt. Geht man davon aus, dass damals das gesamte königliche Einkommen 250 000 livres tournois nicht überstieg, dann war der ökonomische Aufwand für den Kreuzzug enorm. Um alles bezahlen zu können, erhielt Ludwig vom Papst ein Zwanzigstel sämtlicher Einkünfte der Kirche in Frankreich, was später für die Dauer von drei Jahren auf ein Zehntel aufgestockt [624] wurde. Beamte der Krone pressten außerdem Häretikern und Juden Geld ab, und insgesamt war Ludwig durchaus bereit, im Namen des heiligen Krieges zu betteln, zu borgen und zu stehlen. Außerdem bewog er andere führende Kreuzfahrer, sich eigene Geldmittel zu beschaffen und einen Beitrag zur Organisation des Transports zu leisten. 3
Rivalitäten innerhalb der lateinischen Christenheit hatten früher schon so manchen Kreuzzug empfindlich behindert. Politische Verwerfungen hatten dazu geführt, dass Monarchen ihre Pläne, in der Levante zu kämpfen, aufschoben oder ganz aufgaben, weil sie befürchten mussten, ihre lange Abwesenheit werde unerfreuliche politische Folgen haben. Doch obwohl Ludwig IX. sich seiner Verantwortung gegenüber seinem Land bewusst war, erachtete er es offenbar dennoch als absolut vorrangig, einen Kreuzzug anzuführen. Bevor er aufbrach, übertrug der König die Regentschaft seiner erfahrenen Mutter Blanche von Kastilien. Außerdem unternahm er alles, um die politischen Streitigkeiten in Europa beizulegen: Er versuchte, eine Einigung zwischen dem Papst und Friedrich II. zustande zu bringen, und setzte sich für einen Frieden mit England ein. Seine Initiativen hatten zwar (wie im Fall des Konflikts zwischen den Staufern und Rom) nur begrenzten Erfolg, und nach wie vor war Frankreich und auch Ludwigs eigene Stellung bedroht, dennoch sah der König davon ab, seinen Aufbruch aufzuschieben oder sein Gelübde abzuändern.
Neben diesen Bestrebungen, unter den abendländischen Herrschern des Westens Frieden – im Sinn seiner
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