Die Kreuzzüge
den Anlegestellen am Hafen herrschte größtes Chaos. Einige, darunter auch König Heinrich und Otto von Grandson, konnten entkommen. Der schwer verwundete Jean de Villiers wurde auf ein Schiff in Sicherheit gebracht. Der lateinische Patriarch jedoch fiel ins Wasser und ertrank, als sein überlastetes Boot kenterte. Andernorts gab es Lateiner, die sich entschlossen, zu bleiben und sich ihrem Schicksal zu stellen. Die Männer Khalils stießen auf eine Gruppe von Dominikanern, die in ihrem Konvent »Veni Creator Spiritus« sangen, dieselbe Kreuzfahrer-Hymne, die auch Jean de Joinville im Jahr 1248 angestimmt hatte. Sie wurden bis auf den letzten Mann umgebracht. 11
Viele Christen suchten Zuflucht hinter den starken Mauern der Niederlassungen der drei großen Ritterorden, einige schafften es auch, noch einige Tage lang durchzuhalten. Die wehrhafte Zitadelle der Templer wurde dann aber von Sappeuren unterminiert, sie brach am 28. Mai zusammen und begrub die Menschen im Innern unter sich. Andere, die bei den Johannitern Schutz gesucht hatten, ergaben sich, als Khalil ihnen freien Abzug zusicherte, doch aus muslimischen Chroniken geht hervor, dass der Sultan sein Versprechen kaltblütig brach und seine Gefangenen auf ein Feld vor der Stadt führen ließ. Fast genau 100 Jahre zuvor hatte Richard Löwenherz sein Versprechen, der ajjubidischen Garnison Akkons gegenüber Gnade walten zu lassen, gebrochen und 2700 Gefangene umgebracht. Nun, im Jahr 1291, ließ Khalil die Lateiner zu Gruppen zusammentreiben und »abschlachten, wie es die Franken damals mit den Muslimen gemacht hatten. So wurde Gott, der Allmächtige, an ihren Nachkommen gerächt.«
[703] Der Untergang Akkons war die letzte und zugleich tödliche Katastrophe für die lateinischen Christen in Outremer. Ein fränkischer Zeuge, dem es gelungen war, zu Schiff zu entkommen, erinnert sich an die Plünderung der Stadt: »Keiner kann das Unglück dieses Tages ermessen und die Tränen zählen, die damals geflossen sind.« Der Großmeister der Johanniter, Jean de Villiers, überlebte und berichtete in einem Brief in die Heimat von seinen Erlebnissen, und er fügte auch hinzu, dass ihm das Schreiben wegen seiner Verwundung schwer fiel:
Ich und ein paar unserer Brüder, die meisten verwundet und unheilbar verletzt, entkamen nach dem Willen Gottes, und wir wurden auf die Insel Zypern gebracht. Am Tag, da dieser Brief verfasst wird, sind wir noch immer hier, zutiefst betrübt, gefangen in gewaltigem Schmerz.
In den Augen der Muslime hingegen bestätigte der glorreiche Sieg von Akkon die Macht ihres Glaubens und besiegelte ihren Triumph im Krieg um das Heilige Land. Ein Zeuge beschrieb begeistert, wie »Gott nach der Einnahme von Akkon die Herzen der anderen Franken, die noch in Palästina lebten, mit Verzweiflung erfüllte«. Der Widerstand der Christen brach zusammen. Innerhalb eines Monats wurden die letzten Außenposten in Tyros, Beirut und Sidon von den Franken verlassen oder aufgegeben. Im August zogen sich die Tempelritter aus ihrer Festung auf Tortosa und aus dem Château Pèlerin zurück. Damit waren die Tage von Outremer, dem Land der Kreuzfahrer in der Levante, zu Ende. Abu’l Fida bedenkt dieses Wunder mit folgenden Worten:
Diese Eroberungen [bedeuteten, dass] nun ganz Palästina sich in der Hand der Muslime befand, ein Ausgang, den keiner je zu hoffen oder zu wünschen gewagt hätte. So [wurde das Heilige Land] von den Franken gereinigt, die einst beinahe Ägypten erobert und Damaskus und andere Städte unterworfen hätten. Der Herr sei gepriesen. 12
[704] NACHWORT
DAS FORTLEBEN DER KREUZZÜGE
N ach der Einnahme Akkons und dem Verlust der letzten noch bestehenden Festungen Outremers war die politische und militärische Präsenz der lateinischen Christenheit in der Levante an ihr definitives Ende gekommen. Der vollständige Sieg über die Kreuzfahrerstaaten bestärkte die Autorität der Mamluken, und die Macht des Sultanats hatte im Vorderen Orient noch mehr als zwei Jahrhunderte lang Bestand. In Europa dagegen löste der Zusammenbruch des Königreichs Jerusalem allenthalben Furcht und Schrecken aus. Natürlich wurde nach Erklärungen, nach Schuldigen gesucht. Den Franken der Levante wurde ihr sündhafter Lebenswandel und ihr Hang zu internen Streitigkeiten vorgeworfen; die Ritterorden wurden dafür kritisiert, dass sie sich lieber in anderen Weltgegenden engagierten, als das Heilige Land zu verteidigen.
Die Handelsbeziehungen zwischen Europa und dem
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