Die Kreuzzüge
ausschließlich auf die Aufgabe, in Jerusalem anzukommen, konzentriert hätte. In Wahrheit aber ging es ihm, obwohl er vorgab, nur ein einziges Ziel im Auge zu haben, nach wie vor um ein neues provençalisches Herrschaftsgebiet im Orient. Mitte Februar 1099 zwang er den Kreuzfahrern die unnötige und völlig sinnlose Belagerung der unbedeutenden libanesischen Festung Arqa auf und [102] versuchte, die benachbarte muslimische Stadt Tripolis einzuschüchtern und zur Unterwerfung zu bewegen. Raimunds offizielle Begründung lautete, man müsse eine Pause einlegen, damit die Kreuzfahrer, die sich noch in der Gegend um oder in Antiochia befanden – darunter auch Gottfried von Bouillon –, sich dem Zug wieder anschließen konnten. Doch auch als dies endlich geschehen war, weigerte er sich weiterzuziehen. Nach zwei vergeudeten Monaten der Belagerung von Arqa, als die Menge bereits zu murren begann, traf ihn dann ein katastrophaler Schlag.
Die enge Verbindung mit Peter Bartholomäus und der Heiligen Lanze hatte der Graf genutzt, um die allgemeine Anerkennung als Anführer des Kreuzzugs durchzusetzen. Im Lauf der Zeit hatte sich Peter jedoch als zunehmend unzuverlässiger Verbündeter herausgestellt, er tendierte immer mehr zu extremen und unberechenbaren Visionen. Im Frühjahr 1099 waren seine Phantasien immer verstiegener geworden, und als er im April berichtete, Christus habe ihn angewiesen, für die sofortige Hinrichtung vieler Tausender »sündiger« Kreuzfahrer zu sorgen, war der Bann gebrochen. Es kann nicht verwundern, dass jetzt Zweifel an dem selbsternannten Propheten und der Reliquie, die er angeblich entdeckt haben wollte, laut wurden. Wortführer der Kritiker war ein normannischer Kleriker, Arnulf von Chocques, dem es nicht zuletzt um stärkeren Einfluss seines Heimatlands ging.
Peter war offenbar von der Echtheit seiner Visionen überzeugt und erklärte sich freiwillig bereit, sich dem Gottesurteil einer Feuerprobe zu unterwerfen, um seine Ehrlichkeit und die Echtheit der Lanze zu beweisen. Er fastete vier Tage, um seine Seele vor dieser Prüfung zu reinigen. Dann, am Karfreitag, in Anwesenheit einer Schar von Kreuzfahrern, betrat er, gekleidet in eine einfache Tunika und mit der Reliquie in Händen, freiwillig ein Inferno – lodernde »Olivenzweige, die zu zwei Haufen aufgeschichtet waren, über vier Fuß hoch, ungefähr einen Fuß voneinander entfernt, und dreizehn Fuß lang«.
Es gibt unterschiedliche Berichte über das, was nun geschah. Peters Anhänger behaupteten, er sei unversehrt aus den Flammen wieder herausgekommen, nur um von einer aufgewühlten Menge von Zuschauern wieder hineingestoßen zu werden. Andere, skeptischere Beobachter beschrieben, wie
[103] der Finder der Lanze schnell durch die Mitte des brennenden Scheiterhaufens rannte, um seine Ehrlichkeit zu beweisen, wie er selbst es verlangt hatte. Als der Mann durch die Flammen lief und dann herauskam, sahen sie, dass er schuldig war, denn seine Haut war verbrannt, und sie merkten, dass er innerlich tödlich verletzt war. Das zeigte sich dann auch in der Folge, denn am zwölften Tag starb er, verbrannt von der Schuld, mit der er sein Gewissen beladen hatte.
Was auch immer der Grund für die Verletzungen gewesen sein mag, die Peter Bartholomäus am Tag seiner Prüfung zugefügt wurden – jedenfalls erlag er ihnen. Sein Tod vernichtete den Glauben an seine Prophezeiungen und stellte auch die Wirksamkeit der Heiligen Lanze zutiefst in Frage. Außerdem schädigte er Raimunds Ansehen nachhaltig. Dieser versuchte zwar, an der Macht zu bleiben, doch Anfang Mai, als sogar seine südfranzösischen Anhänger nachdrücklich auf einer Fortsetzung des Zuges in Richtung Palästina beharrten, sah er sich gezwungen, einzulenken und Arqa und seine libanesischen Pläne aufzugeben. Als die Franken sich am 16. Mai 1099 von Tripolis aus in Marsch setzten, war die Phase, in der die Provençalen den Kreuzzug dominierten, zu einem Ende gekommen; von nun an würde sich Raimund bestenfalls die Macht mit den anderen Fürsten teilen müssen. Endlich, nach mehr als zehn Monaten der Verzögerungen und Ernüchterungen, brach der erste Kreuzzug zu seiner letzten Etappe auf dem Weg nach Jerusalem auf. 14
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[104] DIE HEILIGE STADT
Zu Beginn der letzten Etappe des Marsches auf Jerusalem wurden die ersten Kreuzfahrer von einem erneuerten Bewusstsein von Dringlichkeit angetrieben. Jeglicher Gedanke an die Eroberung anderer Städte und Häfen auf ihrer Reise durch den
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