Die Kreuzzüge
Mitstreiter, was zu heillosem Chaos führte. In diesem einen entscheidenden Moment der Schlacht gelang es Kerboga nicht, die Reihen wieder zu schließen. Die Formation war aufgelöst, die einzelnen Truppenteile versuchten daher jeweils für sich, den Schaden zu begrenzen, und flohen vom Schlachtfeld. Der Schock, den die unerschütterliche Entschlossenheit der Kreuzfahrer auslöste, hatte die Bruchlinien bloßgelegt, die das muslimische Heer durchzogen. Ein empörter muslimischer Chronist schrieb später, dass »die Franken zwar äußerst geschwächt waren, doch in geordneten Reihen gegen die an Stärke und Zahl absolut überlegenen islamischen Truppen marschierten, und die Franken durchbrachen die Reihen der Muslime und trieben die Masse ihrer Kämpfer auseinander«. 11
Nur ein kleiner Bruchteil von Kerbogas mächtigem Heer war tatsächlich geschlagen, und trotzdem musste er schmählich die Flucht ergreifen. Ohne die Reichtümer seines Heerlagers mit sich zu nehmen, floh er in Schimpf und Schande nach Mesopotamien. Die muslimische Garnison in der Zitadelle Antiochias ergab sich nach der Schlacht. Endlich befand sich die große Stadt wirklich in der Hand der Lateiner. Die Schlacht von Antiochia war ein überwältigender Sieg. Nie zuvor hatte der erste Kreuzzug so kurz vor seiner Auflösung gestanden, und dennoch hatte wider alle Erwartungen das Christentum triumphiert. Natürlich sahen viele hier die Hand Gottes am Werk, und es wurde von zahlreichen spektakulären Wundern berichtet. Ein Geisterheer aus christlichen Märtyrern, alle in Weiß gekleidet und angeführt von Soldaten-Heiligen, war aus den Bergen heruntergestiegen, um den Franken beizustehen. An einem anderen Ort des Kampfes trug Raimund von Aguilers selbst die Heilige [97] Lanze in der von Bischof Adhémar angeführten Truppe der Südfranzosen, und es hieß später, Kerboga sei beim Anblick der Reliquie wahnsinnig geworden. Ob sich das alles tatsächlich so zugetragen hat oder nicht – außer Zweifel steht, dass Frömmigkeit für den Gang der Dinge eine außerordentlich große Rolle spielte. Die Kreuzfahrer kämpften in einer Atmosphäre glühender Frömmigkeit, sie wurden unterstützt und gestärkt von Priestern, die in ihren Reihen mitliefen, sangen und Gebete sprachen. Vor allem war es das allen gemeinsame Bewusstsein einer frommen Mission in Verbindung mit einer abgrundtiefen Verzweiflung, was die Lateiner in diesem schrecklichen Kampf zusammenschweißte und sie in die Lage versetzte, ihrem fürchterlichen Feind entgegenzutreten, ja ihn in die Flucht zu schlagen.
VERZÖGERUNG UND VERIRRUNG
In der Zeit unmittelbar nach diesem bemerkenswerten Erfolg kam die Hoffnung auf, der Kreuzzug könnte zu einem schnellen, triumphalen Ende gebracht werden. Tatsächlich aber verlor das Unternehmen seine Ziele aus dem Auge; der Antrieb ging verloren, als die Anführer sich in einen Streit über die Verteilung der syrischen Beute verstrickten. Die Hochsommerhitze löste eine Epidemie aus, und viele Angehörige der kämpfenden Truppen, die den schrecklichen Entbehrungen der vorangegangenen Monate standgehalten hatten, erlagen nun der Krankheit. Selbst die Adligen waren dagegen nicht gefeit, und am 1. August starb Adhémar von Le Puy, der als päpstlicher Legat die Stimme der Vernunft und Versöhnung verkörpert hatte.
In dieser Zeit lähmte ein erbitterter Streit über die Zukunft Antiochias das gesamte Unternehmen und blockierte jeglichen Fortschritt des Zuges in Richtung Palästina. Bohemund beharrte auf seinem Anspruch auf die Stadt, und mittlerweile war seine Ausgangsposition nachhaltig gestärkt. Er war es ja gewesen, der im entscheidenden Augenblick Antiochias Niederlage erzwungen hatte; seine Standarte wehte am Morgen des 3. Juni über der Stadt. Nur Stunden nach dem Sieg über Kerboga hatte er seine Stellung dadurch gefestigt, dass er die Zitadelle besetzte, obwohl Raimund von Toulouse sich nach Kräften bemüht hatte, ihm zuvorzukommen. Bohemund warb dafür, dass die anderen Fürsten sein [98] Recht auf den Besitz der Stadt einstimmig anerkannten, trotz der Zusagen gegenüber dem Kaiser von Byzanz. Die meisten Fürsten willigten ein, war doch die Erinnerung daran, dass Alexios sie bei Philomelion im Stich gelassen hatte, noch frisch; aber wiederum war es Raimund, der sich diesem Ansinnen widersetzte und die nach wie vor bestehenden Verpflichtungen gegenüber den Griechen betonte. Eine Gesandtschaft sollte nach Konstantinopel reisen und den Kaiser ersuchen,
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