Die Kreuzzüge
darauf, dass die eigentliche Macht im lateinischen Palästina bei der Krone lag und nicht beim Adel. Er war gegenüber seinen königlichen Kollegen im Westen insofern im Vorteil, als er zumindest in dieser Hinsicht mit einer Tabula rasa beginnen konnte: Er hatte sich nicht mit einer fest verwurzelten, mit jahrhundertealten Herrschafts- und Landbesitzansprüchen belasteten Aristokratie herumzuschlagen, sondern konnte das neue Königreich Jerusalem nach seinen eigenen Prioritäten gestalten.
Ein wesentlicher Bestandteil dieser Politik war die Beibehaltung eines mächtigen königlichen Herrschaftsbereichs – eines Gebiets, das unmittelbar im Besitz der Krone war und von ihr verwaltet wurde. Die Könige in Europa übernahmen in der Regel Reiche, in denen viele der wohlhabendsten und mächtigsten Territorien schon vor langer Zeit an Adlige übergegangen waren; sie wurden als Lehen im Namen der Krone regiert, doch in halbautonomer Weise verwaltet. Balduin I. hielt viele der wichtigsten Siedlungen innerhalb seines eigenen Herrschaftsbereichs, darunter Jerusalem, Jaffa und Akkon, und ließ nur sehr wenige neue Herrschaftsgebiete entstehen. Die Aristokratie hatte ohnehin kaum die Möglichkeit, Erbansprüche auf die verfügbaren Lehen anzumelden, weil ihre Mitglieder stark unter der hohen Sterblichkeit der von Kriegen erschütterten Levante zu leiden hatten. Der König vergab auch häufig Lehen in Form von Geld, belohnte also den Dienst eher in barer Münze als mit Ländereien.
Die frühe Geschichte zweier Herrschaftsgebiete, Haifa und Tiberias, ist besonders bezeichnend für Balduins Umgang mit seinen führenden Vasallen. Als Tankred im Jahr 1101 nach Antiochia aufbrach, teilte Balduin das übermächtige Fürstentum Galiläa. Geldemar Carpinel, ein südfranzösischer Kreuzfahrer, der im Dienst Gottfrieds von Bouillon gestanden hatte, erhielt im März 1101 Haifa, möglicherweise als Belohnung dafür, dass er Balduins Thronanspruch mit unterstützt hatte. Nur sechs Monate später wurde Geldemar im Kampf getötet, und in den folgenden 15 Jahren ging die Herrschaft über Haifa durch die Hände von drei weiteren Männern, die in keinerlei verwandtschaftlicher Beziehung zueinander [144] standen. So fiel die Herrschaft über den Hafen immer wieder an die Krone zurück, und bei jeder Gelegenheit konnte Balduin neu entscheiden, wen er mit diesem Lehen belohnte.
Das Fürstentum Tiberias dagegen erhielt einer der nächsten Gefolgsleute Balduins, Hugo von Falkenberg, ein Ritter aus Flandern, der sich Balduin wahrscheinlich beim ersten Kreuzzug angeschlossen hatte. Hugo leistete dem Königreich gute Dienste, allerdings fiel er der militärischen Unsicherheit in seinem Gebiet zum Opfer und wurde bei einem Anschlag im Jahr 1106 durch einen Pfeil tödlich verletzt. Tiberias wurde dann an den Nordfranzosen Gervaise von Bazoches vergeben, einen der nächsten Gefolgsleute Balduins, der auch zum königlichen Seneschall (verantwortlich für die Verwaltung der Finanzen und für das Gerichtswesen) ernannt wurde. Allerdings wurde Gervaise nur zwei Jahre später bei einem Überfall der Muslime auf Galiläa von damaszenischen Truppen gefangen genommen.
Natürlich starben nicht sämtliche Vasallen Balduins I. eines plötzlichen oder grausamen Todes. Entlang der Nordküste Palästinas, an der Grenze zum Libanon und weit entfernt vom unmittelbaren Einflussbereich Jerusalems, schuf der König einige neue Fürstentümer. Eines davon, Sidon, übergab er dem aufgehenden Stern seines Gefolges, Eustace Garnier. Dieser wahrscheinlich aus der Normandie stammende Ritter hatte Balduin wohl schon in Edessa gedient, mit Sicherheit kämpfte er im Jahr 1105 für ihn gegen die Ägypter. Er stieg beinahe aus dem Nichts auf und versammelte rasch ein gewichtiges Konglomerat von Herrschaftsbereichen, darunter Cäsarea und durch die Heirat mit Emma (der einflussreichen Tochter des Patriarchen Arnulf von Chocques) die Stadt Jericho. Eustace allerdings stellte eine Ausnahme dar. Im Ganzen scheint sich Balduin eine treue, effektive Adelsklasse geschaffen zu haben, die bis dahin der Krone im Großen und Ganzen ergeben war. 10
DIE KONFRONTATION MIT DEM ISLAM
Natürlich konnte sich Balduin I. in den frühen Jahren seiner Regentschaft nicht nur der Stabilisierung seines Einflusses auf Palästina widmen; er musste außerdem ständig ein wachsames Auge auf seine muslimischen Nachbarn haben, allen voran die schiitischen Fatimiden Ägyptens. [145] Deren Wesir al-Afdal war durch
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