Die Kreuzzüge
Gebiet hinauslief und muslimischen und christlichen Bauern erlaubte, bei der Bearbeitung der Felder zusammenzuarbeiten. Der Ertrag der Terre de Sueth wurde dann durch drei geteilt – ein Teil verblieb bei den einheimischen Bauern, der Rest wurde zwischen Jerusalem und Damaskus aufgeteilt. Diese Regelung wurde bis weit ins 12. Jahrhundert hinein beibehalten. 13
In den ersten fünf Jahren seiner Regentschaft war das Überleben König Balduins ebenso wie der Fortbestand seines gesamten Reiches alles andere als gesichert. Nur weil die Muslime unter sich zerstritten und die Ägypter keine besonders guten Krieger waren, hatten sich die Lateiner behaupten können.
DIE KRISE IM LATEINISCHEN SYRIEN (1101 – 1108)
In den ersten eisigkalten Monaten des Jahres 1105 hatte Tankred, der berühmte Veteran des ersten Kreuzzugs, allen Anlass zu verzweifeln. Er stand zu einer Zeit an der Spitze des lateinischen Fürstentums Antiochia, als dieses neu geschaffene Reich in den letzten Zügen zu liegen schien. Sechs Monate zuvor hatte der Ruf der Franken, unbesiegbar zu sein, gewaltig gelitten, als die Streitmacht Antiochias in der Konfrontation mit dem Islam eine demütigende Niederlage hatte hinnehmen müssen. In deren Folge hatte Tankreds berühmter Onkel und Antiochias angeblicher Fürst Bohemund die Levante fluchtartig verlassen, er hatte die Stadtkasse geplündert und eilig Richtung Westen die Segel gesetzt. Tankred, der mit ansehen musste, wie sich die Führungsschicht der Stadt auflöste und an allen Fronten Rebellion und Willkür um sich griffen, wähnte den Untergang nah. Sieben Jahre zuvor hatte er selbst die Greuel der Eroberung Antiochias miterlebt sowie die ungeheuerlichen Kosten der Übernahme der Stadt durch die Kreuzfahrer. Nun hatte es ganz den Anschein, als sei die erschütterte fränkische Enklave, die aus dieser Eroberung hervorgegangen war, dem Untergang geweiht.
[155] An dieser Krise war Tankred ganz oder weitgehend unschuldig. Im Frühling des Jahres 1101 war er von Palästina aus nach Norden aufgebrochen, um in Antiochia während Bohemunds Gefangenschaft die Herrschaft zu übernehmen. In den beiden folgenden Jahren stellte er im Fürstentum sehr bald Stabilität und Sicherheit wieder her und bewies dabei sowohl Stärke als auch Klugheit. Kurz vor Bohemunds Gefangennahme waren die fruchtbaren Ebenen Kilikiens im Nordwesten von Antiochia seiner Herrschaft entglitten. In der Hoffnung auf größere Selbständigkeit hatte die einheimische christliche Bevölkerung die Seiten gewechselt und sich dem Byzantinischen Reich angeschlossen, aber Tankred trieb sie mit einer kurzen, heftigen Militäraktion in die Unterwerfung zurück. Und er wollte mehr, als nur die Verluste seines Onkels wettzumachen: Ihm ging es auch um Gebietsgewinne für das Fürstentum. Ebenso wie das Königreich Jerusalem war Antiochia auf die Häfen an der östlichen Mittelmeerküste angewiesen, aber die Stadt Latakia mit dem besten natürlichen Hafen Syriens blieb trotz Bohemunds wiederholter Vorstöße in griechischer Hand. Im Jahr 1103 allerdings eroberte Tankred die Stadt nach einer langwierigen Belagerung.
Den Spielraum und die Autorität, die ihm seine neue Stellung boten, scheint Tankred genossen zu haben; er zeigte offensichtlich wenig Interesse daran, für eine baldige Befreiung seines Onkels zu sorgen. Die Aufgabe übernahm stattdessen Bohemunds damaliger kirchlicher Beauftragter, Patriarch Bernard, sowie Balduin von Bourcq, nun Graf von Edessa. Diese beiden machten es sich zum Ziel, die riesige Summe Lösegeld zusammenzubringen, die der Danischmenden-Emir, der Bohemund gefangen hielt, verlangte – 100 000 Goldstücke. Der Armenier Kogh Vasil, Herrscher über zwei Städte im Gebiet des oberen Euphrat, trug ein Zehntel zu dieser Summe im Austausch gegen Bündniszusagen bei; ein ziemlich empörter ostchristlicher Zeitgenosse merkt an, dass »Tankred gar nichts gab«. Im Mai des Jahres 1103 wurde Bohemund schließlich wieder auf freien Fuß gesetzt. Für Tankred hatte das bittere Konsequenzen: Er musste nicht nur die Zügel der Herrschaft über Antiochia wieder aus der Hand geben, sondern auch seine eigenen Eroberungen in Kilikien und Latakia. 14
[156] Die Schlacht von Harran (1104)
Jetzt, wieder im Vollbesitz seiner Freiheit und Autorität, bemühte sich Bohemund, seine Freundschaft mit Graf Balduin II. von Edessa zu erneuern. In den folgenden zwölf Monaten unternahmen sie gemeinsam mehrere Feldzüge, mit denen sie das Gebiet zwischen
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