Die Kreuzzüge
Jahren war es für die Lateiner in Jerusalem von größtem Vorteil, dass es zwischen den Schiiten Ägyptens und der großen syrischen Sunni-Macht Damaskus keine Allianzen gab. Wenn Balduin in den Jahren 1101 oder 1102 einer derart geballten Bedrohung gegenübergestanden hätte, dann wäre er ihr mit den mageren Mitteln seines Königreichs wohl kaum gewachsen gewesen. Stattdessen verfolgte Duqaq von Damaskus in der Zeit, die ihm noch blieb, gegenüber dem fränkischen Palästina eine zurückhaltende Politik der Entspannung. Die Erinnerung an seine Niederlage am Hundefluss war noch lebendig; außerdem sah er es nicht ungern, dass die Christen die fatimidischen Ausgriffe auf das Heilige Land blockierten, und so blieb Duqaq bei seiner neutralen Haltung. Als er jedoch im Jahr 1104 sehr früh, im Alter von erst 21 Jahren, starb, schlug Damaskus politisch eine neue Richtung ein.
Nach kurzen, allerdings höchst unschönen Streitigkeiten übernahm der Atabeg * Tughtegin die Herrschaft über die Stadt. Als Ehemann von Duqaqs intriganter verwitweter Mutter Safwat hatte er schon seit langem im Hintergrund auf seine Chance gelauert; es wurde sogar gemunkelt, Duqaqs frühzeitiger Tod sei darauf zurückzuführen, dass er auf Betreiben Tughtegins vergiftet worden war. Den Atabeg katapultierte seine Begabung für hinterhältige politische Intrigen sowie sein gelegentlicher Hang zu exzessiver Grausamkeit an die Macht. Im Jahr 1105 akzeptierte er ein erneuertes Angebot der Ägypter zu militärischer Zusammenarbeit. Es war ein Glück für die Franken, dass diese erstmalige Koalition aus Sunniten und Schiiten ihre Grenzen hatte. Tughtegin, der möglicherweise [153] nach wie vor seinen neuen Verbündeten nicht traute, entschied sich sehr bald doch dagegen, einen ausgedehnten Feldzug von Damaskus aus nach Palästina zu beginnen. Stattdessen entsandte er eine Streitmacht von 1500 Bogenschützen, als al-Afdal im Sommer 1105 eine dritte Armee, ebenfalls wieder unter der Führung eines seiner Söhne, in den Norden nach Askalon schickte.
Da außerdem noch eine ägyptische Flotte vor Jaffa lauerte, erkannte Balduin I., dass der Hafen wohl bald wieder belagert und sein Reich erneut in seinen Grundfesten erschüttert würde. Deshalb ergriff er die Initiative, befahl den Patriarchen von Jerusalem mit dem Wahren Kreuz zu sich und brach auf, um dem fatimidischen Heer in Ramla gegenüberzutreten. Er verfügte jetzt zwar über ein Heer von immerhin ungefähr 500 Rittern und 2000 Fußsoldaten, dennoch war er damit seinen Gegnern sicher wieder deutlich unterlegen. Zum dritten Mal innerhalb von vier Jahren aber war es ihm dank der militärischen Disziplinlosigkeit der Ägypter möglich, den Feind in die Flucht zu schlagen und knapp zu besiegen. Die Opferzahlen auf beiden Seiten waren ungefähr gleich, und doch wirkte sich diese Begegnung auf die Kampfmoral der Muslime verheerend aus. Der Emir von Askalon wurde im Kampf erschlagen. Balduin befahl, ihn zu enthaupten, seinen abgeschlagenen Kopf nach Jaffa mitzunehmen und ihn vor der ägyptischen Flotte zu präsentieren, um sie zu einer überstürzten Flucht zu bewegen.
Ägypten bedrohte das von den Franken besetzte Palästina auch weiterhin, doch unternahm al-Afdal keine weiteren Großangriffe; bedeutende Erfolge konnte er nicht mehr verzeichnen. Nun war auch Damaskus teilweise neutralisiert. Tughtegin gewöhnte sich eine differenziertere, überwiegend zurückhaltende Vorgehensweise bei seinen Verhandlungen mit Jerusalem an. Er war zwar bereit, damaszenische Interessen notfalls mit Gewalt zu verteidigen, und er unternahm auch immer wieder Strafexpeditionen auf christliches Gebiet. Doch gleichzeitig schloss er einige befristete Verträge mit Balduin ab, in denen es vor allem darum ging, den für beide Seiten förderlichen Handel zwischen Syrien und Palästina zu erleichtern.
Die nachhaltigste Auswirkung dieser Verträge war ein Waffenstillstand für einen Teil des Territoriums (bestätigt durch einen niedergeschriebenen Vertrag) um das Jahr 1109 herum. Diese bemerkenswerte Absprache bezog sich auf die Gegend, die sich östlich des Sees Genezareth – [154] von den Franken wegen ihrer dunklen Basalterde als Terre de Sueth (oder Schwarzes Land) bezeichnet – um das fruchtbare Anbaugebiet um Hauran herum bis nach Norden in Richtung der Golanhöhen und südlich bis zum Fluss Jarmuk erstreckt. Balduin und Tughtegin kamen überein, etwas zu schaffen, das im Prinzip auf eine teilweise befriedete Zone in diesem
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