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Die Kreuzzüge

Die Kreuzzüge

Titel: Die Kreuzzüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Asbridge , Susanne Held
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Antiochia und Edessa unterwerfen und Aleppo isolieren und unter Druck setzen wollten. Wahrscheinlich war es das letztere Ziel, das sie im Frühjahr 1104 zu ihrem Kriegszug in die Region östlich des Euphrat bewog. Die Herrschaft über dieses Gebiet konnte die Südgrenze der Grafschaft Edessa sichern, außerdem die Verbindungen zwischen Aleppo und Mesopotamien empfindlich erschweren. Dabei stießen sie jedoch auf den erbitterten Widerstand einer recht umfangreichen muslimischen Streitmacht unter der Führung der seldschukischen Türkenherrscher von Mosul und Mardin.
    Um den 7. Mai herum kam es auf der Ebene südlich von Harran zur Schlacht. Bohemund und Tankred hielten die rechte Flanke, während Balduin II. zusammen mit seinem Vetter Joscelin von Courtenay die Truppen Edessas an der linken Seite befehligte. (Joscelin, ein nordfranzösischer Aristokrat aus höherem Adel, war nach 1101 in der Levante eingetroffen und hatte eine Grafschaft um die große Festungsstadt Tell Bashir erhalten.) In der Schlacht, die nun entbrannte, wurden die Truppen aus Edessa vom Rest des Heeres abgeschnitten – bei einem Angriff hatten sie ihre Kräfte überschätzt und wurden Opfer eines unbarmherzigen Gegenangriffs. Balduin und Joscelin wurden gefangen genommen; Tausende ihrer Landsleute wurden getötet oder eingesperrt. Bohemund und Tankred führten eine kleinmütige Schar nach Edessa zurück, wo Tankred mit der Aufgabe betraut wurde, die Stadt zu verteidigen.
    Harran bedeutete für die Franken einen furchtbaren Rückschlag. Schon die Verluste auf dem Schlachtfeld – die Zahl der Krieger, die gefallen oder gefangen genommen worden waren – waren beträchtlich, aber den größten Schaden nahm ihr Ansehen in der Region: Diese Niederlage führte zu einer deutlichen Verschiebung der Machtbalance und der Stimmung im Norden der Levante. Allmählich wurde den einheimischen Bevölkerungsgruppen Syriens klar, dass die Lateiner durchaus nicht unbesiegbar waren. Nur unwesentlich später vermerkt ein Zeitgenosse in Damaskus, dass »[Harran] ein großer, unvergleichlicher Sieg [157] gewesen war [. . .] er entmutigte die Franken, dezimierte ihre Truppen und brach ihre Angriffsstärke; die Herzen der Muslime dagegen wurden gestärkt«. Tatsächlich nutzten alle – Muslime, Griechen und Armenier – die Gelegenheit, die Verhältnisse zu ihren Gunsten umzugestalten, und darunter litt nicht in erster Linie Edessa, sondern vor allem Antiochia. Die Byzantiner nahmen Kilikien und Latakia wieder ein, obwohl die Zitadelle von Latakia möglicherweise in fränkischer Hand verblieb. Im Südosten jagten die Städte der Summaq-Region ihre lateinischen Garnisonen davon und baten Aleppo, die Führung zu übernehmen. In einem letzten Akt der Demütigung schloss sich die strategisch wichtige Stadt Artah diesem Trend an. Artah, kaum einen Tagesmarsch nordöstlich von Antiochia gelegen, hatte die Funktion, die wichtigste Römerstraße im Inland zu bewachen, und wurde von Zeitgenossen als der »Schutzschild« der Stadt angesehen. Im Spätsommer 1104 war das Fürstentum stark geschrumpft; alles, was von diesem einst blühenden Reich übrig blieb, war ein kleiner Gebietskern um die Stadt selbst herum. 15
    Im Frühherbst desselben Jahres traf Bohemund eine überraschende Entscheidung. Er beorderte Tankred von Edessa zurück, ließ eine Ratsversammlung in der Basilika St. Peter ansetzen und tat seine Absicht kund, die Levante zu verlassen. Die wahren Motive hinter diesem Schritt sind kaum erkennbar. Öffentlich erklärte Bohemund, dass er, um das lateinische Syrien zu retten, in Westeuropa ein weiteres fränkisches Heer anwerben wolle. Möglicherweise ließ er auch seinen Wunsch erkennen, seine Gelübde gegenüber dem heiligen Leonhard zu erfüllen (um dessen Hilfe er während seiner Gefangenschaft gebetet hatte) und eine Wallfahrt zum Grab des Heiligen im französischen Noblat zu unternehmen. Für sich scheint er allerdings kaum die Absicht gehabt zu haben, schnell wieder nach Outremer zurückzukehren; vielmehr plante er wahrscheinlich, ein Heer zu versammeln, mit dem er das byzantinische Imperium auf dem Balkan direkt angreifen konnte. Das hätte dazu führen können, dass Alexios Komnenos abgelenkt war, womit unter Umständen ein Angriff der Griechen auf Antiochia abgewendet werden konnte. Allerdings hatte Bohemunds Strategie wohl mehr mit seinem Wunsch zu tun, im Mittelmeerraum und in der Ägäis neue Gebiete zu erobern, und mit seinem Traum, den Thron im mächtigen

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