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Die Kreuzzüge

Die Kreuzzüge

Titel: Die Kreuzzüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Asbridge , Susanne Held
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Konstantinopel höchstselbst zu besteigen.
    Bohemunds Gleichgültigkeit gegenüber der labilen Lage Antiochias [158] wird auch daran deutlich, dass er sich vor seinem Aufbruch ungerührt alles, was der Stadt noch an materiellen und personellen Gütern geblieben war, aneignete. Sogar der zeitgenössische lateinische Chronist Radulf von Caen, der sich normalerweise durchaus zugunsten Bohemunds äußerte, merkte an, dass dieser »Gold, Silber, Juwelen und Kleidung mit sich nahm und Tankred [die Stadt hinterließ] ohne Schutz, Gelder und Söldner«. Bohemund verließ Syrien zu Schiff wohl noch im September 1104. Während des ersten Kreuzzugs hatte er sein ganzes militärisches Genie, aber auch seine Habgier und Arglist auf die Eroberung Antiochias gerichtet. Als er jetzt der Levante den Rücken kehrte, muss ihm klar gewesen sein, dass er seine damalige Beute einer verzweifelt finsteren und unsicheren Zukunft auslieferte. 16
    Am Rand des Zusammenbruchs
    Für Tankred begann das Jahr 1105 also in größter finanzieller Bedrängnis: Er sah sich als Prinzregent eines Reiches, das dem Untergang geweiht schien. In dieser akuten Krise, der größten Herausforderung seiner bisherigen Laufbahn, zeigte er, was in ihm steckte. Mit einer Mischung aus persönlicher Überzeugungskraft und Zwang gewann er die Unterstützung der einheimischen antiochenischen Bevölkerung; es gelang ihm, von den Bewohnern der Stadt eine Notsteuer einzuziehen, damit den Staatsschatz aufzustocken und neu anzuwerbende Söldner zu finanzieren. Außerdem füllte er seine Reserven auf, indem er sich die einzige positive Folge aus dem Debakel von Harran, die nominelle Herrschaft Antiochias über die Grafschaft Edessa, zunutze machte. Er rief »sämtliche christlichen Männer« Nordsyriens zu den Waffen, zog aus Edessa, Marasch und Tell Bashir alle Bewaffneten außer den Garnisonen ab und konnte so bis zum Beginn des Frühjahrs eine Streitmacht von rund 1000 Rittern und 9000 Fußsoldaten versammeln. Tankreds unerschütterliche Tatkraft und sein strategischer Scharfsinn traten nun deutlich zutage.
    Angesichts der Vielzahl seiner Feinde war ihm klar, dass er weder an allen Fronten kämpfen noch sich auf eine Politik der unentschlossenen Defensive zurückziehen konnte. Stattdessen ging er den Weg gezielter, konzentrierter Aggression und wählte seine jeweiligen Ziele mit größter Sorgfalt aus. Mitte April marschierte er auf Artah und erzwang eine entscheidende
Begegnung mit Ridwan von Aleppo. Das war ein kühner Schritt. Wenn es ihm gelang, diesen Feind in offener Schlacht zu besiegen, konnte er dadurch die Initiative wieder an sich reißen und den fränkischen Kriegsruhm wiederherstellen, doch muss ihm auch klar gewesen sein, dass Aleppos Truppen an Zahl die seinen – wohl im Verhältnis drei zu eins – übertrafen und dass eine Niederlage mit dem Ende der lateinischen Herrschaft in Syrien gleichbedeutend war.
    Bevor die Christen von Antiochia aufbrachen, unterzogen sie sich den Riten spiritueller Reinigung; dazu gehörte dreitägiges Fasten, ein Sündenbekenntnis und die Einstimmung auf den nahen Tod, was deutlich an die Gepflogenheiten der Kreuzfahrer erinnerte. Dann überquerte Tankred den Orontes an der Eisernen Brücke und rückte vor, um Artah zu belagern. Als Ridwan diesen Köder geschluckt hatte und sich mit – zeitgenössischen Angaben zufolge – 30 000 Mann in Bewegung setzte, wich Tankred zurück. Das Herzstück seiner Strategie bestand darin, aus seiner genauen Kenntnis des umliegenden Gebiets und seinem Wissen um die muslimische Taktik Nutzen zu ziehen. Die Straße zwischen Artha und der Eisernen Brücke führte durch ein Gebiet, wo das Gelände zwar flach, doch mit Felsbrocken übersät war; die Pferde konnten sich darauf nur schwer vorwärtsbewegen, bis dann eine weitläufige Ebene erreicht wurde. Auf diese Ebene zog sich Tankred zurück, und dorthin folgte ihm am 20. April 1105 Ridwan. Ein lateinischer Zeitgenosse beschrieb die anschließende Schlacht:
    Die Christen behielten ihre Stellung bei, als wären sie betäubt [. . .]. Dann, als die Türken den holprigen Boden hinter sich hatten, stürzte sich Tankred mitten unter sie, als sei er plötzlich vom Schlaf erwacht. Die Türken zogen sich schnell zurück und hofften, dass sie wie gewohnt kehrtmachen und dabei gleichzeitig fliehen und schießen könnten. Doch ihre Hoffnungen und ihre Tricks wurden vereitelt [. . .] die Speere [der Franken] trafen sie in den Rücken, und das Gelände

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