Die Krieger 1 - Das Erbe der Magier
zu werden. Bowbaq ließ den Blick über die saftigen grünen Wiesen wandern, die in alle Richtungen von mit Blautannen bewachsenen Hügeln umgeben waren. In diesem einsamen Tal hatten er und seine Frau Ispen sich vor vierzig Jahren niedergelassen – sechs Meilen von ihrem nächsten Nachbarn entfernt.
Seit seinem Abenteuer mit den Erben hatte Bowbaq seine Heimat nur noch selten verlassen. Er liebte sein häusliches Glück, das einfache Leben fernab der Welt mit ihren unüberschaubaren Verwicklungen. Wenn seine Kinder oder Freunde ihn besuchten, freute er sich unbändig und tat alles, um seine Gäste möglichst lange bei sich zu behalten. Viel Überredungskunst brauchte es dazu nicht. Corenn und Grigän beispielsweise verbrachten jedes Mal mindestens eine Dekade in der Hütte ihres Freundes.
Diesmal hatte Bowbaq seinen kleinen Klan für ein paar Tage unter seinem Dach versammelt. Seine Frau und er beherbergten ihre Tochter Iulane und ihren Sohn Prad mit ihren Gefährten, zwei junge Paare, die ihnen bereits drei Enkelkinder geschenkt hatten. Iulane hatte zwei kleine Buben, Prad eine schon recht große Tochter: Niss, ein verschlossenes Mädchen, deren Geburtstag sie heute feiern würden.
Ispen hatte vorgeschlagen, im nahe gelegenen Fluss baden zu gehen. Unter einem Vorwand war Bowbaq zurückgeblieben, um die Überraschung vorzubereiten. Alle wussten, dass er nicht gern ins Wasser ging, und so hatte sich niemand gewundert, dass er zu Hause bleiben wollte. Doch jetzt, da alles bereit war, wartete er ungeduldig auf die Rückkehr seiner Familie. Wenn sie sich zu viel Zeit ließen, würden die Bohnen und die Qinga anbrennen und der Milo kalt werden – kurzum, die Überraschung wäre nicht mehr ganz so perfekt!
Als er es nicht länger aushielt, beschloss Bowbaq, ihnen entgegenzugehen. Trällernd marschierte er los, ohne sich die Mühe zu machen, die Tür hinter sich zu schließen. In dieser friedlichen Gegend hatte er noch nie Angst vor Dieben oder Überfällen gehabt. Bis auf einmal … An jenem Tag vor rund zwanzig Jahren, als drei Züu versucht hatten, ihn zu ermorden. Aber diese Erinnerung verdrängte er lieber.
Nachdem er die Wiese überquert hatte, stapfte er den steilen Hang eines Hügels hinauf, um keinen Umweg nehmen zu müssen. Jeder andere in seinem Alter wäre schnell aus der Puste gekommen, doch Bowbaq machte der Anstieg nichts aus. Obwohl er die sechzig bereits weit überschritten hatte, war er immer noch ungewöhnlich kräftig. Das Leben in der Natur hatte ihn abgehärtet, aber er bildete sich nichts darauf ein. Ihm sei eben eine robuste Gesundheit in die Wiege gelegt worden, pflegte er zu sagen. Diese Bescheidenheit war wohl das Geheimnis seines Glücks: Was er nicht beeinflussen oder ändern konnte, nahm er klaglos hin.
Er grübelte gerade über seine Lebenseinstellung nach, als Galous Bellen ihn aus den Gedanken riss. Das Kläffen kam von weit her, von der anderen Seite des Hügels hinter dem Tannenwald, aber Bowbaq hörte, dass der Hund vor großer Gefahr warnte. Der Rouvier schlug niemals ohne Grund an. Was war am Flussufer los?
Besorgt marschierte Bowbaq schneller und begann zu rennen, sobald er den Hügelkamm erreicht hatte. Schreckliche Bilder kamen ihm in den Sinn. Die Kinder, die in den Fluten ertranken oder von der Strömung fortgerissen wurden. Ein hungriger Bär. Mörder in roten Gewändern, die vergiftete Dolche zückten.
Der Mog’lur, jener grausame Dämon, den er im Eroberten Schloss in Junin angegriffen hatte.
Während er den Hang auf der anderen Seite des Hügels hinunterlief, wurde das Bellen immer lauter. Bowbaq lauschte angestrengt nach Stimmen. Sogar Schreie wären ihm lieber gewesen als diese Stille, in der das Gebell des Hundes widerhallte. Dass seine Lieben nicht um Hilfe riefen, trieb ihm den Angstschweiß auf die Stirn. Als sich der Wald endlich lichtete, stürzte er mit zerzausten Haaren und Tannennadeln im Bart zum Ufer und sah sich gehetzt um.
Nichts. Niemand! Mit zusammengekniffenen Augen spähte er den Fluss hinunter, während sein Hund auf ihn zusprang und sich mehrmals aufgeregt um sich selbst drehte. Bowbaqs Magen krampfte sich zusammen. Etwas Schreckliches war geschehen, das ahnte er, das spürte er genau. Die Ungewissheit war fast das Schlimmste.
Plötzlich schöpfte er Hoffnung, als er Niss entdeckte, die seelenruhig am Ufer neben den Kleidern saß, die sich die anderen vor dem Baden ausgezogen hatten. Mit einigen Sätzen war er bei ihr, während Galou weiter
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