Die Krieger 1 - Das Erbe der Magier
verstaut hatte und ihn zu ihrem Bruder schleppte.
Nolan stand an einem Fenster im ersten Stock hinter den schweren Vorhängen und lugte vorsichtig nach draußen. Als sie seine sorgenvolle Miene sah, spähte Eryne über seine Schulter. Auf der anderen Straßenseite, jenseits der Hofmauer, stand eine in einen dicken Reisemantel gehüllte Gestalt. Der Mann schien mit seltsamer Beharrlichkeit auf etwas zu warten.
»Als ich ankam, war er noch nicht da«, sagte Nolan. »Aber seit wir den Keller verlassen haben, hat er sich nicht von der Stelle gerührt.«
»Vielleicht ist es ein Lieferant, der Lebensmittel bringt und auf die Haushälterin wartet …«, mutmaßte Eryne, ohne selbst so recht daran zu glauben.
»Er sieht nicht aus wie ein Dienstbote. Und welche Waren würde er wohl unter seinem Mantel mit sich herumtragen? Ein Schwert könnte er da schon eher verstecken.«
Eryne erschauerte und sah noch einmal zur Straße hinunter. Bestimmt überwachte der Mann den Eingang des Hauses,
ihres
Hauses!
»Wenn er etwas im Schilde führt, würde er sich doch nicht so offen zeigen. Er ist sicher harmlos.«
»Vielleicht«, sagte Nolan seufzend. »Aber ich würde trotzdem lieber warten, bis er aufgibt und verschwindet, bevor wir das Haus verlassen. Hast du fertig gepackt?«
»Ja. Wo willst du eigentlich hin?«
»Ich weiß es nicht. In irgendeine Herberge in der Stadt. Möglichst in einem Viertel, in dem wir sonst nie sind.«
»Ich habe eine bessere Idee«, entgegnete Eryne. »Wir können bei Roban von Sarcy wohnen. Er hat ein großes Schloss und ist mir gegenüber immer sehr aufmerksam.«
»Der alte Sarcy?«, fragte Nolan verwundert.
»Nein, sein Sohn, Roban. Er … Er macht mir den Hof. Er würde alles tun, um uns zu helfen. Und jeder weiß, dass er Offizier der Grauen Legion ist«, fügte sie hinzu. »Seine Männer könnten uns helfen, unsere Eltern wiederzufinden.«
Zu ihrer Überraschung reagierte Nolan eher zurückhaltend auf ihren Vorschlag. Er warf noch einmal einen Blick auf den wartenden Mann, seufzte und rieb sich den Schädel. »Ich weiß nicht, Eryne. Wenn uns tatsächlich jemand verfolgt, wird er uns dort leicht finden. Und was die Graue Legion angeht … Den Spitzeln des Königs vertraue ich nicht.«
»Es ist immer noch weniger gefährlich, als sich in einer Herberge einzuquartieren!«, schimpfte seine Schwester. »Außerdem werden zehn lorelische Spione ja wohl mehr herausbekommen als ein paar Kaulaner, die nicht einmal den Platz der Reiter finden würden!«
»Ich weiß nicht, Eryne«, sagte Nolan noch einmal und seufzte.
»Dafür weiß ich es umso besser!«, fuhr sie auf. »Keiner soll später sagen, dass ich keinen Finger gerührt hätte, um meinen Eltern zu helfen!«
»Schon gut, schon gut«, beruhigte er sie. »Sobald die Luft rein ist, gehen wir zu deinem Sarcy. Einverstanden?«
Eryne strahlte und gab Nolan einen zärtlichen Kuss auf die Stirn. Dann spähten sie zu dem Unbekannten auf der anderen Straßenseite hinunter und warteten. Die Zeit verging quälend langsam. Hand in Hand standen die Geschwister da und dachten an Rey und Lana.
***
Bowbaq hatte befürchtet, nicht mehr rechtzeitig mit den Vorbereitungen fertig zu werden, so viel gab es zu tun. Aber schließlich hatte er es doch geschafft. Alles war bereit für die Geburtstagsfeier seiner Enkelin, die heute dreizehn Jahre alt wurde. Zufrieden betrachtete er die gedeckte Tafel und den Festschmuck. Ja, er konnte stolz auf sich sein …
Auch das Essen war schon gekocht. Da sein Appetit seiner Körperfülle entsprach, hatte Bowbaq die Portionen großzügig bemessen und einen riesigen Kochtopf voller bittersüßer Bohnen auf die graue Steinplatte gesetzt, unter der ein Feuer loderte. Viele saftige Scheiben Schinken lagen bereit, um in die
Qinga
getaucht zu werden, das scharf gewürzte flüssige Schmalz, das traditionell an Festtagen serviert wurde. Zwei mächtige Krüge mit gezuckertem Milo dampften vor sich hin, und daneben stand eine Schale Sirup, in den sie später ihr Fluffbrot tunken würden. Der köstliche Geruch der Speisen und Getränke vermischte sich mit dem Duft der Tannenreiser und frisch gepflückten Mosainen, die zu Sträußen gebündelt überall in der Blockhütte hingen, auch über der offenen Tür.
Bowbaq beschloss, sich auf die Eingangstreppe zu setzen. Zur Jahreszeit des Feuers war der Süden Arkariens, der fast das ganze Jahr unter einer dicken Schneedecke lag, wie verwandelt, und der heutige Tag versprach besonders schön
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