Die Kristallwelt der Robina Crux
verstrichen, als sich Robina in einer dumpfen Verzweiflung die Stufen des Steinbündels hinabgleiten ließ.
Sie erreichte die Ebene, schleppte sich zum Wrack. Sie fühlte sich leer, wie ausgebrannt. Sie empfand in diesem Augenblick nicht Angst, eher eine niederschmetternde Ausweglosigkeit.
Robina war nicht in der Lage, in Zusammenhängen zu denken. Sie lehnte den Kopf gegen die Rumpfverkleidung des zerstörten Bootes. Sie wälzte darauf den ovalen Helm hin und her, sinnlos, minutenlang. Langsam, zunächst nicht ganz faßbar, kroch in sie die Gewißheit: Ich bin allein! Allein…
Sie spürte noch, wie eine Woge der Verzweiflung über sie hereinbrach, ihre Sinne verwirrend.
Und dann heulte sie los, irrsinnig, laut, schrie und tobte. Sie hieb mit den Fäusten, dem Kopf auf das Blech, warf sich in den Staub, krallte in das splittrige Geröll.
Als die Kräfte sie verließen, rutschte sie vor dem Rumpf in sich zusammen, saß apathisch angelehnt, den leeren Blick in die Ebene gerich tet. Dann glitt sie zur Seite, lag mit dem Oberkörper im Winkel, den der Rumpf mit der Umgebung bildete…
Viel später richtete sich Robina langsam auf. Sie saß eine Weile, erschöpft, ohne einen Begriff vom Geschehenen, dann erhob sie sich, ein Druck lastete auf ihrem Kopf, sie taumelte. Sie sah zur Uhr, nahm die Zeitanzeige zunächst nicht auf, und als ihr langsam klar wurde, daß vier Durchgänge vorüber waren seit ihrem Zusammenbruch, empfand sie weiter nichts als Gleichgültigkeit. Sie rief fragend, heiser: „Frank?“ Aber kein Hoffnungsfunke glomm mehr in ihr.
Robina stand minutenlang unschlüssig, dann tappte sie einige Schritte in die Ebene hinaus, stand wieder, kehrte um, stolperte wie unter dem Einfluß eines fremden Willens zur Schleusenluke, zerrte diese weit auf, öffnete auch die Schotte zu den Laderäumen, und dann begann sie die Vorräte auszuladen.
Sie warf die Behälter aus dem Boot, in ihrem Kopf formte sich eine Zeile, und sie zwang sich in den Rhythmus der Silben. Bei jedem Wurf murmelte sie eine Silbe.
„Da – mit – ich – fer – tig – bin – wenn – sie – mich – ho – len – da – mit – ich – fer – tig – bin – wenn – sie – mich – ho – len – da –…“ Länger als eine Stunde arbeitete sie so, immer im Silbenrhythmus, bis sie den letzten Behälter hinausgeworfen hatte.
Dann begann sie mit kindischer Akribie die Dosen und Plastflaschen vor dem Wrack zu stapeln, keine durfte auch nur einen Millimeter hervorragen…
Dumpfer Kopfschmerz rief Robina allmählich in die Wirklichkeit zurück. Sie begriff auf einmal nicht, wie sie in der Lage gewesen war, das Boot auszuladen und die große Zahl der Behälter zu stapeln. Und dann schob sich wieder das Schreckliche in ihr Bewußtsein. Sie dachte langsam, spürte mehr, als daß sie es folgern konnte, es könne – ja, müsse – doch noch Hoffnung bestehen! Dieses Müssen wurde ein Strohhalm, vermittelte jedoch keine Kraft, keinen neuen Glauben. Es war, als reichten Robinas Gedanken nicht über ihre unmittelbare Umgebung hinaus, sie konnte und wollte sich das Schreckliche nicht vorstellen. Dann sagte sie sich, sie sollen mich nicht so erschöpft, so mutlos finden, wenn sie kommen. Ich werde ruhen, ein wenig…
Sie kroch in das Wrack, löste einen der Liegesitze, stellte ihn so, daß die Schräge der Kabine ausgeglichen wurde, und legte sich hin. Einigemal wollte würgende Furcht sie greifen, aber selbst dieses Gefühl blieb gleichsam in Apathie stecken. Mit einer Art fatalistischem Gleichmut döste Robina ein…
2.
Als sie erwachte, brauchte Robina Sekunden, die Situation zu erfassen.
Sie fühlte sich frischer, ausgeruht. Ein Blick zur Uhr sagte ihr, daß sie
sechs Stunden geschlafen hatte.
Jetzt waschen, baden! Umziehen!
Robina stand auf, trat zur Luke und stieß sie auf.
Obwohl sich draußen nichts, absolut nichts geändert hatte, seit sie sich vor Stunden in das Wrack zurückgezogen hatte, durchfuhr sie ein eisiger Schreck. Tief im Unterbewußtsein war ihr nach Sonne, blauem Himmel und Fotografierwölkchen, nach frischer Luft und Vogelgezwitscher zumute gewesen.
Und schlagartig wurde sich Robina ihrer Misere bewußt.
Was gäbe ich darum, dachte sie, wenn ich noch einmal jene Tage an diesem Bergsee irgendwo in der Hohen Tatra erleben könnte! Noch schlaftrunken mit Boris aus der Hütte laufen, taufrisches Gras, Zaudern und dann der Sprung ins kalte, klare Wasser. Doch, Robi – das war Glück!
Ihr Blick ging nach oben;
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