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Die Kristallwelt der Robina Crux

Die Kristallwelt der Robina Crux

Titel: Die Kristallwelt der Robina Crux Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kröger
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antworten, wie sie die folgenden Tage und Wochen verbracht hatte. Meist lag sie lethargisch in der Kabine, nahm Medikamente – „für Flugphasen in trivialen Räumen“, wie es im Reglement hieß –, kleine Pillen, die einen Wachschlaf hervorriefen, eine Art Dösen, so tief, daß die Zeit verrann, ohne daß man Langeweile empfand. Der Schlaf war aber wiederum nicht so tief, daß man beispielsweise ein Alarmsignal überhören konnte.
    Robina meinte, daß dieses Zeug, das ohne jede Nebenwirkung sein sollte, für ihre Situation genau das richtige sei.
    Die täglichen Verrichtungen hatte Robina auf das Notwendigste reduziert. Nur im Unterbewußtsein dämmerte ihr manchmal, daß sie so eigentlich nicht mehr lebte, allenfalls vegetierte.

Manchmal – meist nach den primitiven Mahlzeiten – zog sie sich an und lief ziellos in die Ebene hinaus, strich stundenlang umher, registrierte wie in Trance die Schönheit der Minerale, ohne sie voll zu erfassen unter dem Einfluß der Droge. Sie hätte nach solchen Ausflügen nicht zu sagen vermocht, was sie eigentlich gesehen hatte.
    Mitunter, wenn die Wirkung des Medikaments nachgelassen hatte, dachte sie, ob sie vielleicht den Verstand verlöre. Aber sie sträubte sich nicht dagegen, sie empfand es ganz angenehm so. Und sie griff gewohnheitsmäßig, meist schon im Unterbewußtsein – wie früher süchtige Raucher zur Zigarette –, zu der Box mit den kleinen Kugeln, die ein Gefühl der Leichtigkeit aufkommen ließen, die das Zeitrad in schnellem Gang hielten.
    Wäre nicht der Zähler in der Kabine gewesen, Robina hätte längst die Orientierung in der Zeit verloren. Wenn sie ihn ablas und er ihr zeigte, daß wieder mehrere Tage verstrichen waren, frohlockte sie.
    Dieser Zähler war es auch, der sie jedesmal daran erinnerte – und das übersah sie nie –, daß es wieder einmal soweit sei.
    Jeden Freitag raffte Robina sich auf, fuhr beinahe schlafwandlerisch mit dem Eselchen zum Ort ihrer Katastrophe, zum Wrack, erklomm dort über die Kristallkaskade die mächtige schräge Wand und ging, nun schon mit traumhafter Sicherheit, den komplizierten Weg zur Kuppel. Und dort verharrte sie stundenlang, lauschte sitzend, den Kopf an die Rundung des Baues gelehnt, dem aufschwellenden Ton, der aus den Hörern ihres Helms drang.
    Sie starrte in den schwarzen Himmel, ohne zu denken, meist erfüllt von einem kindischen Glücksgefühl, das dieses Signal, das die Kuppel hervorzurufen schien.
    Öfter war sich Robina des Obskuren, des Idiotischen ihres Handelns, ihres unwürdigen Lebens bewußt, aber stets fehlte ihr die Kraft, sich davon frei zu machen, und jeder Versuch erstickte unter der Frage: wozu auch? Und indem sie diese Frage stellte, griff sie zur Droge und hatte dann für etliche Stunden keine Fragen mehr.

    Es kam der Tag, an dem aus der kleinen Öffnung der Box keine Kugel mehr rollte. Es dauerte eine Weile, bis Robina das erfaßte. Dann erinnerte sie sich träge: Es müßten noch welche sein, nur wo?
    Immer noch benommen, aß sie etwas, stand dann auf, um einen Sauerstoffbehälter an das Versorgungssystem anzuschließen, und warf sich erneut aufs Lager. Sie griff mechanisch abermals zur Box, erinnerte sich, als ihre Hand leer blieb, daß die Kugeln ja ausgegangen waren, und schleuderte in einem plötzlichen Wutanfall den Behälter von sich. So wurde Robina langsam richtig wach.
    Sie lag noch eine Weile bäuchlings, spürte, wie sie sich beruhigte, und sie bemerkte mit einemmal, daß es in der Kabine unangenehm roch. Und dann – nach Wochen – nahm Robina zum erstenmal wieder ihre Umgebung bewußt wahr. Sie benötigte ein gutes Quantum an Selbstbeherrschung, um sich nicht sofort zu übergeben. Wieder ging ihr Blick über die leere Box.
    Danach zwang sie sich, die Kabine, vor allem deren Fußboden, gründlich zu mustern. Das heißt, der eigentliche Fußboden war kaum zu sehen! Leere Konservenbehälter überdeckten ihn, Lachen verschüt teter oder ausgelaufener Flüssigkeiten standen zwischen Kleidungsstükken, Datenrastern und den Teilen des beschmutzten Raumanzugs. Ekel erfaßte Robina. Sie blickte an sich hinunter. Auf Brust und Oberschenkeln klebten gelbe Flecke eines angetrockneten Obstsaftes. Sie fuhr sich mit gespreizten Fingern durch das Haar und blieb darin stecken. Und da übergab sie sich, mitten hinein in den Unrat vor ihren Füßen.
    Später begann Robina aufzuräumen. Sie hatte ein Containernetz vor die Luke gebreitet und warf allen Unrat aus der gefluteten Schleuse.

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