Die Kristallwelt der Robina Crux
ermittelt, ihre Geschwindigkeit verhältnismäßig gering zu der des Boliden. So ein Einschlag würde nur von der Wirkung einer – einer – wie hieß das? – Pistolenkugel früherer Zeiten sein. Also bei aller Relativität tödlich. Ohne zu erschrecken, wurde Robina gewahr, daß in ihrer Rechnung ein Fehler sein konnte: Es müssen gar nicht fünfunddreißig Jahre werden, es konnte jetzt, heute und hier eintreten…
Robinas Gedanken plätscherten oberflächlich. Sie erheiterte sich ein wenig an ihrem Spiegelbild, das sie im klobigen Anzug aus der Froschperspektive zeigte und das, je nach der Helligkeit der Untergrundpulsation, bald brillant, bald blaß erschien.
Dann dachte Robina an den spiegelnden Metallfußboden der historischen Bar im Alexhotel, an die „gestohlenen Stunden“ mit Boris. Ja, du wolltest es so, Boris. Möglichst wenige Kollegen im Institut sollten nach deinem Willen von der Liaison erfahren. Ich hatte ja nichts dagegen. Es ginge, wie du sagtest, nur uns zwei etwas an – stimmte ja auch. Es gäbe dem eine besondere Würze. Und Spaß hat mir die Heimlichtuerei gemacht. Allerdings, mein lieber Boris, später habe ich das anders gesehen. Du hast dafür gesorgt, daß ich es anders interpretieren mußte, später, als es vorbei war. Vor dem Entstehen eines moralischen Zwanges wolltest du dich schützen. Die Meinung der Kollegen über dich galt dir nämlich etwas. Ja, und wir leben halt in einer Zeit, in der wir Techtelmechtel auf lange Sicht nicht mögen…
Du Dummkopf! Als ob ich dir jemals übelgenommen hätte, daß es mit uns nichts geworden ist.
Freilich, ich wäre schon bereit gewesen…, glaube, daß es bei mir für das Leben gereicht hätte.
Robina spürte deutlicher als je, auch deutlicher als in jener Zeit mit Frank in der REAKTOM, daß sich die Sache mit Boris nicht reparieren ließe, selbst wenn er mit ausgebreiteten Armen unter der Luke des Raumschiffes stünde…
Jäh brach Robina ihre Gedanken ab. Niemand wird je unter einer Raumschiffluke stehen, Robi, ja, niemals mehr wirst du ein Raumschiff zu Gesicht bekommen!
Lange saß sie dann am anderen Ufer an einen rosaroten Spat gelehnt und starrte in die Finsternis des Raumes hinaus.
Dann wurde ihr bewußt, daß ein winziger dieser Sterne, die um sie herum im Gleichmaß vorbeizogen, hinter den glasigen Flächen der Kristalle aufstiegen und dort, wo ihr Licht tangierte, blitzende Beugungsreflexe hervorriefen, daß einer davon die Erdensonne, ihre Sonne war. Frank hatte sie ihr gezeigt, einen Stern etwa siebenter Größe, so wie das Reiterlein im großen Wagen – wer sieht das schon mit bloßem Auge! –, von der Erde aus betrachtet.
Was soll es auch! Ich werde sie aus der Vielzahl ohnehin nicht herausfinden, und vielleicht ist das ganz gut so…
Ich dürfte nicht so lange herumsitzen, müßte mich bewegen, Gymnastik treiben. Die Muskeln werden erschlaffen bei dieser geringen Gravitation.
Robina rührte sich nicht. Sie empfand es als wohlig, die Auflast des Körpers kaum zu spüren. Der harte, kristalline Untergrund erschien dadurch weich wie Schaumstoff.
Wozu werde ich wohl je wieder größere Muskelkräfte brauchen? Vielleicht paßt sich mein Körper für alle Zeiten – für die fünfunddreißig lumpigen Jahre – den Verhältnissen hier an? Bisher habe ich keine Beschwerden. Das wären neue Erkenntnisse für die Raummedizin. So lange hat noch keiner unter solchen Bedingungen gelebt. Leider werden meine Erkenntnisse keinem nützen, weil keiner sie kennt.
Wenn es wenigstens gelungen wäre, die Bahnparameter dieses Kristallhaufens genauer zu bestimmen. Die Wahrscheinlichkeit, ihn zu finden, ist eins zu mehreren tausend. Na, immerhin, er leuchtet, und er hat seine Funkekliptik wie ein Kreisel seine Rotationsebene. Aber in sie zu geraten, sie zu orten wäre ein großer Zufall. Bleiben wieder nur die Anderen…
Spielerisch drückte Robina den Frequenzsteller ihres Funkgeräts. Nach einer Minute schwirrte klar dieser langgezogene – wie hatte Stef gesagt? – Hawaiiton im Helm. Der Teufel mochte wissen, warum gerade Hawaii! Robina nahm sich achselzuckend vor, die Anderen oder das, was sie stellvertretend für sich auf dem Boliden zurückgelassen hatten, zu besuchen.
4.
Obwohl Robina zweimal an einer Exkursion zur Kuppel teilgenommen hatte, ging es ihr nicht schnell genug, am Morgen des folgenden Tages mit dem Frühstück und dem Ankleiden fertig zu werden. Hastig verstaute sie Proviant, füllte Treibstoff in den Tank des
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