Die kritische Dosis
verkaufen.«
»Wer weiß, vielleicht kann ich Ihnen dann eines Tages eine Versicherung andrehen?«
Sellers zerrte eine Zigarre aus der Tasche, steckte sie sich mit Siegergeste zwischen die Lippen und entschwand.
Nachdem die Tür zugeknallt war, vergingen einige Sekunden, bis jemand den Mund aufmachte. »Nun verraten Sie mir endlich, wo Ihr Vater ist«, bat ich Phyllis.
Sie schüttelte den Kopf. »Das kann ich Ihnen nicht sagen.«
»Weil Sie es nicht wissen?«
»Weil ich es Ihnen nicht sagen kann.«
»Sie können nicht, oder Sie wollen nicht?«
»Ich kann nicht.«
»Sie sind aus dem Schneider, Lam. Die Geschichte mit der Uberschreibung des Schadenersatzanspruches war ein guter Schachzug. Als Anwalt muß ich Sie allerdings darauf aufmerksam machen, daß unter den gegebenen Umständen die Gültigkeit dieser Übertragung noch fraglich ist.«
»Ich habe nur Aufträge ausgeführt«, sagte ich. »Ich bin kein Jurist.«
Essex grinste. »Dawson verlangte einen erstklassigen Detektiv. Als er Sie sah, war er ein bißchen enttäuscht, aber ich finde, Sie sind genau der richtige Mann. Ich freue mich, daß es so gekommen ist. Man sieht, daß ich wieder mal recht behalten habe.«
»Augenblick mal«, unterbrach ich. »Daß Sie wieder mal recht behalten haben? Haben Sie Dawson unsere Detektei empfohlen?«
Er lächelte durchtrieben. »Ein Anwalt kann nichts über die Unterhaltungen mit seinen Klienten sagen, wenn er nicht gegen sein Berufsethos verstoßen will. Wenn Sie wieder mal Schwierigkeiten haben, Lam, geben Sie mir Bescheid.«
Ich faßte das als Entlassung auf. »Vielen Dank, ich werde es mir merken. Irgendwie habe ich noch immer das ungute Gefühl, daß an diesem Fall mehr dran ist, als man auf den ersten Blick sieht.«
»Das ist doch praktisch bei allen Fällen so«, erklärte
Essex salbungsvoll. »Der menschliche Faktor spielt natürlich auch hinein, die Wechselwirkung der Persönlichkeiten, Interessenkonflikte, vielschichtige Motive...«
»Ganz recht: vielschichtige Motive...«, wiederholte ich. »Na, dann wünsche ich allerseits eine angenehme Nachtruhe.«
Keiner begleitete mich zur Tür.
8
Als ich am nächsten Morgen ins Büro kam, zeigte sich, daß Bertha auf dem Kriegspfad wandelte.
»Darf ich fragen, was, zum Teufel, du angestellt hast?«
»Ich?«
»Ja — du!«
»Gar nichts. Weshalb?«
»Tu nicht so ahnungslos. Diesmal macht Frank Sellers Ernst. Du wirst deine Lizenz los.«
»Quatsch mit Soße«, sagte ich. »Er hat zwei und zwei zusammengezählt und sechzehn herausgekriegt. Nachweisen kann er mir nichts. Er wirft mir vor, daß ich einen Fall von Fahrerflucht vertusche, mich deswegen strafbar gemacht habe und so weiter. Aber das sind doch alles nur Vermutungen, und...«
»Wenn ich das schon höre: alles nur Vermutungen!« Berthas Schweinsäuglein glitzerten böse. »Du hast dich auf den Leim locken lassen, bist mit geradezu sträflichem Leichtsinn in die Falle getappt. Wenn du Sellers die Karten offen auf den Tisch gelegt hättest, wäre er nicht so wild geworden. Er hat mir erzählt, daß er dir die Chance geben wollte. Aber nein, du wußtest es ja besser. Du hattest nichts Eiligeres zu tun, als nach Denver zu gondeln und unserem Klienten zu sagen, er sollte untertauchen und sich nicht mehr mucksen. Du hast in einem Fall von Fahrerflucht eine Zahlung geleistet, um eine Anzeige zu verhindern. Erzähl mir nicht, daß sich Sellers das aus den Fingern gesogen hat. Soll ich dir mal was sagen?«
»Was denn?«
»Am Wagen von Phyllis Dawson haben sie im Polizeilabor drei Fäden gefunden, die sich im Federbolzen verfangen hatten. Und siehe da — die waren aus dem gleichen Material wie das Kleid, das Mrs. Chester getragen hatte, als sie auf der Kreuzung überfahren wurde. Das soll dieser zungenfertige Rechtsanwalt, den die Dawsons aufgetan haben, vor einer Geschworenenbank erst mal erklären.«
»Das Kleid, das Mrs. Chester zu der Zeit des Unfalls trug, war also von der Polizei beschlagnahmt?« fragte ich.
»Nein, das war es nicht«, antwortete sie ärgerlich. »Sie hatten ein Stück von dem Saum abgeschnitten.«
»Nanu — wie sind sie denn auf diese glorreiche Idee gekommen?«
»Mrs. Chester wurde von der Kreuzung aufgehoben, in einen Rettungswagen gepackt und ins Hospital gefahren. Sie litt an den Nachwirkungen des Schocks, und die Ärzte sagten ihr, die Prellungen würden noch einige Tage sehr schmerzhaft sein, und sie sollte im Bett bleiben. Zum Glück war nichts gebrochen. Da es sich um
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