Die kritische Dosis
einen Fall von Fahrerflucht handelte und man sah, daß der Wagen bei dem Unfall offensichtlich ein Stückchen Stoff aus dem Kleid gerissen hatte, schnitt die Polizei ein kleines Stoffmuster von der Innenseite des Saums ab.«
»Mit Mrs. Chesters Erlaubnis?«
»Woher, zum Kuckuck, soll ich das wissen?« explodierte Bertha. »Nicht die Polizei hat sich zu verantworten, sondern du. Wenn Fahrerflucht vorliegt, wird rein routinemäßig alles verfügbare Beweismaterial sichergestellt. Nach dem Verschwinden von Mrs. Chester hätte die Sache für die Polizei peinlich werden können, wenn sie nicht recht annehmbare Indizienbeweise gehabt hätten: die Beule im Kotflügel, die Fasern an der Bolzenfeder oder wie das verdammte Ding heißt. Ich glaube, Frank Sellers hat Bolzenfeder gesagt.«
»Sellers hat dir also die ganze Geschichte erzählt?«
»Jedenfalls genug, um mich davor zu bewahren, meine Lizenz ebenso zu verlieren wie du. Sellers ist mir immer ein guter Freund gewesen.«
»Ich bin ihm auch ein guter Freund gewesen«, meinte ich trocken. »Ich habe ihm schon oft unter die Arme gegriffen.«
»Aber immer so, daß er sich über deine Hilfe grün und blau geärgert hat.«
»Dafür kann ich nichts. Daß er mir einiges zu verdanken hat, kann niemand bestreiten.«
»Daß du diesmal in der Klemme steckst, kann auch niemand bestreiten. Jetzt gibt es nur eins...«
»Ja?«
»Sellers zuvorzukommen. Aber sag’s ihm nicht weiter.«
»Du meinst — bei Mrs. Chester?«
»Jawohl, ich meine bei Mrs. Chester. Du hast ihr Geld gegeben. Sie hat sich einen Krankenwagen bestellt, um zum Flugplatz zu fahren. Offenbar ist sie in eine Maschine nach Denver gestiegen. Ihre Spur verliert sich dort auf dem Flughafen. Sie hatten auch einen Krankenwagen für sie bestellt, aber jemand muß sie vom Flughafen weggezaubert haben. Und zweimal darfst du raten, wer das gewesen sein könnte.«
»Meinst du unseren Klienten?«
»Deinen Klienten«, stellte Bertha richtig. »Da treibst’s einem doch die Haare durch den Hut. Der Kerl soll mir bloß noch mal...«
Ich hielt den Mund.
»Dieser gemeine Hund hat dich einfach für seine Zwecke ausgenutzt. Er hat dich mit ein paar Kröten geködert, du hast den Köder verschluckt, und er hat sich in Luft aufgelöst. Und soll ich dir noch was sagen?«
»Was?«
»Sellers glaubt, daß diese Phyllis Dawson nicht die Tochter von dem Kerl ist, sondern seine Geliebte. Und daß er als wohlhabender Mann sie vor den Unannehmlichkeiten einer Anzeige wegen Fahrerflucht schützen will.«
Ich steckte die Hände tief in die Taschen und dehnte midi in meinem Sessel.
»Nun sag schon was«, fuhr Bertha mich ungeduldig an.
»Ich denke nach.«
»Reichlich spät, finde ich. Das hättest du besorgen sollen, bevor du den Hals in die Schlinge gesteckt hast. Du wirst mir als Partner fehlen. Aber daß du deine Lizenz loswirst, ist klar. Ich hab’ Sellers noch nie so wütend gesehen. Er hat mir gesagt, daß sie dreißig Beamte auf die Spur von Mrs. Chester gesetzt haben. Die werden sie schon finden.«
»Vielleicht«, sagte ich. »Aber mir kann er nichts anhaben.«
»Wieso nicht?«
»Er hat mir einen Termin gegeben, bis zu dem ich ihm den Namen meines Klienten nennen sollte. Er hat in Gegenwart von Zeugen erklärt, daß er die Aktion abblasen würde, wenn er den Namen von mir bekäme.«
»Das hat er nicht getan«, sagte Bertha. »Er hat mir erzählt, daß du versucht hast, es so auszulegen, aber er hat dir gesagt, daß er dich vorknöpfen wird, wenn du noch einmal eine krumme Tour drehst. Du hast ihm zwar den Namen deines Klienten genannt, aber strafbar gemacht hast du dich trotzdem. Wenn du ihm bis heute mittag Mrs. Chester bringst, sagt er, wird er noch einmal Gnade vor Recht ergehen lassen, aber er kann nicht tatenlos Zusehen, wenn eine Detektei unbekümmert strafbare Handlungen begeht.«
»Ich kann sie ihm nicht bringen«, erklärte ich geduldig. »Ich weiß nicht, wo sie ist.«
»Na, Sellers wird sie schon finden«, sagte Bertha düster.
Eine Weile schwiegen wir. Schließlich sagte ich: »Der Fall stimmt hinten und vorn nicht.«
»Wieso?«
»Fangen wir mal von vorn an. Es war kein besonders schwerer Fall von Fahrerflucht. Die Frau ist zwar auf einem Fußgängerübergang überfahren worden, aber sie hat sich nichts gebrochen. Eine absolut harmlose Sache also — nicht etwa ein Todesfall. Plötzlich treten geheimnisvolle Leute auf und bieten Geld, sehr viel mehr Geld, als Mrs. Chester bei einem Prozeß jemals
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