Die kritische Dosis
sie.
»Was macht das Geschäft?« fragte ich.
Sie ließ mich in ihre Tasche sehen, die schon voller Münzen war. »Alles gewonnen«, erklärte sie.
»Warum haben Sie Alarm geschlagen?«
»Ich? Sind Sie übergeschnappt?«
»Irgend jemand hat die Katze aus dem Sack gelassen«, sagte ich. »Sie sind ein sehr gefragter Typ. Die Polizei in Los Angeles und Denver sucht sich dumm und dämlich nach Ihnen. Auf Las Vegas haben sie die Suche bisher noch nicht ausgedehnt, aber das ist nur eine Frage der Zeit.«
»Ach, du ahnst es nicht«, stöhnte sie.
Ich wartete.
»Kommen Sie bloß weg von hier, ehe uns jemand entdeckt«, sagte sie.
Wir gingen.
»Haben Sie einen Wagen?« fragte ich.
»Nein.«
»Wo wohnen Sie?«
»In einem dieser Bungalows, wie sie an Leute vermietet werden, die sich sechs Wochen hier aufhalten müssen, bevor ihre Scheidung ausgesprochen wird. Es ist himmelschreiend teuer, aber dafür ist man auch völlig unbeobachtet.«
»Schauen wir uns das Domizil doch einmal an«, meinte ich.
Wir nahmen ein Taxi zu der Bungalowsiedlung im Motelstil. Vor den Ohren des Fahrers wurde nicht gesprochen, aber ich merkte, daß Mrs. Chester mich taxierte und scheußliche Angst hatte.
Der kleine Bungalow war geeignet, Leuten mit Liebeskummer das Leben noch kümmerlicher zu machen. Schon von außen sah er schäbig aus, und innen war er nur mit dem notdürftigsten Mobiliar versehen, mit einem abgetretenen Teppich und jenem Typ massiver Klubsessel, die ganz bequem wirken, aber die reinsten Folterapparate sind, wenn man sich leichtsinnigerweise in ihnen niederläßt.
Sechs Wochen in einem solchen Unterschlupf können eine Frau schon zur Verzweiflung bringen.
Andererseits erwartete von den Frauen, die hier wohnten, niemand, daß sie brav in ihren vier Wänden hocken blieben. Normalerweise packten sie ihre Koffer aus, hängten ihre Kleider in die muffig riechenden Einbauschränke und stürzten sich dann in die Spielkasinos und die Freuden langer Wochenendparties.
Meist hatten diese Frauen Freunde, die mehr oder weniger aktiv am Zerbröckeln der Ehe mitgewirkt hatten. Irgendwann in den sechs Wochen überfiel diese Freunde die Sehnsucht, und sie schnappten sich ein Flugzeug und kamen nach Las Vegas.
Wem diese Tröster fehlten, dem fiel es auch nicht schwer, hier männlichen Begleitschutz zu finden. Es war im allgemeinen die Ehefrau, die mit dem sechswöchigen Aufenthalt das Anrecht auf Scheidung erwarb. Der Göttergatte war meist zu beschäftigt.
Wir setzten uns in den Raum, der sich Wohnzimmer nannte, und Mrs. Chester lächelte mich unsicher an. »Was wollen Sie?«
»Sie wußten, daß ich Sie in Ihrer Wohnung in der Doorman Avenue auf suchen würde, nicht wahr?«
Sie überlegte ein paar Sekunden. Dann nickte sie.
»Kannten Sie meinen Namen?«
»Man hatte mir eine Personenbeschreibung von Ihnen gegeben.«
»Wer?«
»Müssen Sie das wissen?«
»Ja.«
»Ich glaube, das kann ich Ihnen nicht sagen.«
»Jammerschade«, bemerkte ich. »Für Sie.«
»Hätte ich mich bloß nicht auf so was eingelassen! Wo ich mich eigentlich schon zur Ruhe gesetzt hatte.«
»Das fällt Ihnen reichlich spät ein, nicht?«
»Ja. Leider.«
Ich schwieg.
Nach einer Weile setzte sie an: »Was wollen Sie wissen?«
»Wer hat die Sache gedeichselt?«
»Der Anwalt.«
»Colton Essex?«
»Ja.«
»Wie stehen Sie zu ihm?«
»Bis zu dieser leidigen Sache hatte ich keine Verbindung mit ihm.«
»Aber Sie kannten ihn?«
»Ja.«
»Wodurch?«
»Er vertrat bei einem meiner Fälle die Gegenseite.«
»Die Gegenseite?«
»Eine Versicherung und den Inhaber der Versicherungspolice.«
»Und was geschah damals?«
»Ich bekam eine sehr geringe Entschädigung.«
»Was war das für ein Fall?«
»Das Übliche.« Sie setzte hinzu: »Ich bin Unfallopfer von Beruf. Jetzt bin ich ja schon ein bißchen alt und ein bißchen zu schwer. Aber gut bin ich noch immer. Wenn ich mit meiner Handtasche an die Kühlerhaube eines Autos tippe, einen Haken schlage, hinfalle und zur Seite rolle, würde so
ungefähr jeder Zuschauer schwören, daß mich der Wagen überfahren hat.«
»Selbst wenn der Wagen nicht fährt?«
»Ich war auf fahrende Autos spezialisiert«, erläuterte sie. »Ich stellte meinen Wagen kurz vor einer Kreuzung so ab, daß er die Sicht versperrte, und hielt mich auf der Kreuzung bereit. Einer von zehn Wagen schnitt meinen Wagen und fuhr weiter. Natürlich habe ich mir die Autos vorher angesehen und mir nur die teuren Schlitten
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