Die Krone von Lytar
sie noch eine halbe Stunde lang hängen, um sicherzugehen, dass sie auch wirklich tot waren. Anschließend wurden ihre Körper heruntergenommen, außerhalb des Dorfes begraben und der Galgen in aller Eile wieder abgebaut.
Der Bürgermeister stieg erneut auf den Brunnenrand und hob zum zweiten Mal an diesem Tag die Hand, um für Ruhe zu sorgen. Aller Augen richteten sich auf ihn. Er rückte sein Wams zurecht, holte tief Luft und hob zu sprechen an.
»Wie es aussieht, befinden wir uns mit dem Königreich Thyrmantor und dessen König im Krieg. Die Verluste, die wir der Armee dieses Königs beigebracht haben und die sicher höher sind, als er es erwartet hat, werden zur Folge haben, dass er noch mehr seiner Leute gegen uns schicken wird, um an sein Ziel, die Krone von Lytar, zu kommen. Der Rat hat daher beschlossen, verschiedene Dinge zu tun. Aber das Wichtigste zuerst. Hat jemand von euch eine Ahnung, wer oder was der ›schlafende Mann‹ ist?«
»Ich glaube nicht, dass damit mein Ehemann gemeint ist, oder etwa doch?«, rief eine der Frauen, worauf alle auf dem Marktplatz in schallendes Gelächter ausbrachen.
»Wie auch immer«, fuhr der Bürgermeister fort, nachdem das Gelächter etwas abgeklungen war. »Wir müssen ihn finden. Die alten Legenden erzählen von einem Depot, in dem unsere Vorfahren verschiedene Dinge eingelagert haben sollen. Wir wissen nicht, um was für Dinge es sich dabei handelt, aber Lytar war einst ein mächtiges Reich, und vielleicht kann uns etwas von dem, was im Depot gelagert ist, in unserer Not helfen!«
»Und was genau ist nun dieser ›schlafende Mann‹?«, fragte jemand.
Der Bürgermeister zuckte mit den Schultern. »Wir wissen es nicht. Wir glauben, dass es etwas ist, das früher jeder kannte, etwas so Geläufiges, dass die alten Schriften es nicht für nötig befunden haben, es gesondert zu erklären.«
»So in etwa wie unser Gasthof. Wenn ich sage, ich bin im Gasthof, weiß meine Frau auch ohne weitere Beschreibung, wo sie mich finden kann!«, lachte einer der älteren Männer.
Sogar der Bürgermeister erlaubte sich ein leichtes Schmunzeln. »Wie gesagt, wir müssen das Depot finden. Es muss irgendwo in der Nähe der alten Stadt liegen. Das ist der erste Schritt. Der zweite Schritt ist herauszufinden, wie man Söldner anheuert und wie viel man für sie bezahlen muss.«
»Was sagen denn die alten Bücher darüber?«, wollte eine junge Stimme wissen.
Sie gehörte Elyra, die nun an den Brunnenrand herantrat, aber keine Antwort auf ihre Frage erhielt, bis sich der Bürgermeister schließlich räusperte. »Das wissen wir nicht, Elyra. Die Bibliothek ist heute Nacht abgebrannt. Alle unsere Bücher wurden vernichtet.«
Das war den meisten neu, und nicht nur Elyra gab einen erstickten Laut von sich. Die Nachricht war ein weiterer schwerer Schlag für uns, denn genauso wie jeder von uns mit dem Bogen umgehen kann, war es auch Tradition, dass ein jeder von uns Wort und Schrift beherrschte. Außerdem war es Sitte, dass jeder ein Buch über sein Leben, seine Gedanken, Wünsche und Hoffnungen schrieb, das dann nach seinem Tod in unsere Bibliothek gebracht wurde. Auf diese Weise wurde gewährleistet, dass sein Wissen denen erhalten blieb, die nach ihm kamen. All dies war nun vernichtet, und für viele war dies ein unvorstellbarer Verlust.
Elyra sah aus, als ob sie gleich in Tränen ausbrechen würde, dann aber erinnerte sie sich an etwas und begann, in dem Packen, den sie bei sich trug, zu kramen. Zum Vorschein kam das Buch, das sie vor einigen Tagen aus der Bibliothek mitgenommen hatte. Sie schlug eine bestimmte Seite mit einem Bild auf und drehte es danach in Richtung des Bürgermeisters.
»Ist das vielleicht die Krone, die der König haben will?«, fragte sie, und ein Raunen ging durch die Menge.
Der Bürgermeister beugte sich zu ihr herab und nahm das Buch ehrfurchtsvoll aus ihren Händen entgegen. Lange musterte er das Bild, dann nickte er langsam. »Ich glaube, ja.« Vorsichtig gab er das Buch wieder an Elyra zurück.
»Das Buch deiner Mutter befindet sich noch bei euch zu Hause. Es ist unbeschädigt«, fügte er dann leise hinzu, und Elyra nickte. »Wenn wir dieses Depot finden, werden wir dort sicher auch noch weitere Bücher finden«, fuhr er fort, und Elyras Miene hellte sich wieder etwas auf.
»Wirklich?«, meinte sie hoffnungsvoll.
»Wirklich. Die Legenden sagen, dass dort das Wissen, aber nicht die Weisheit des alten Reiches liegen würde.«
»Und wie verhält es sich
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