Die Krone von Lytar
Dann wanderten die Schwerter wieder an ihren ursprünglichen Platz zurück, wo sie blieben, bis die nächste Generation sie erneut hervorholte.
Dass Schwerter nicht gut für uns waren, wusste jeder in Lytara. Man gebrauchte sie nur höchst selten, und als Waffe bediente man sich allein des Bogens.
Zudem gab es nur noch ein paar Menschen im Dorf, die mit einer solchen Waffe überhaupt umzugehen verstanden. Hernul, Tarlons Vater, war einer der wenigen, die diese Kunst noch beherrschten. Tarlon selbst hatte allerdings noch nie Interesse daran gezeigt, den Umgang mit dem Schwert von seinem Vater zu erlernen. Die Waffe erschien ihm zu leicht, und er zog es daher vor, mit seiner Axt die Bäume zu fällen.
»Schwerter sind Waffen. Sie dienen nur einem einzigen Zweck: zu töten«, hatte er einmal verlautbart. »Ich ziehe da ein Werkzeug vor. Meine Axt, auch wenn sie einen Baum fällt, schafft damit Raum für neues Leben, zudem kann ich mit ihr Dächer und Pfosten zimmern. Was will ich also mit einem Schwert?«
Seine Einstellung wurde von vielem hier im Dorf geteilt und passte außerdem zu dem einheimischen Sprichwort: Man braucht nur dann ein Schwert, wenn man nicht gerade schießen kann.
Demnach wurden die Schwerter als Erinnerung daran aufgehoben, dass man sich vom Kampf abgewendet hatte. Sie waren nicht mehr als fast vergessene Erbstücke.
Dennoch, etwas Besonderes war an diesen Klingen. Abgesehen davon, dass sie so schwarz waren wie die Nacht finster und nie stumpf wurden, waren außerdem noch Erbtitel an sie gebunden. Garrets Vater, Garen, zum Beispiel, hatte den Titel des Ersten Lords, Champion von Lytar, geerbt. Doch niemand kümmerte sich um diese Titel, bei den meisten wusste man nicht einmal mehr, was sie einst bedeutet hatten. Garen war einfach Garen, ein Handwerksmeister und der beste Bogenmacher im ganzen Tal, vielleicht sogar des ganzen Landes, jetzt, da sein Vater Gernut nicht mehr lebte. Das war alles, was zählte.
Aber die Schwerter existierten, und als die vier Freunde nun die Aufgabe übernahmen, das alte Depot ausfindig zu machen, griffen sie wortwörtlich zu ihren Schwertern.
Als sie sich für die Gedenkfeier trafen, sahen sie, dass sich ein jeder von ihnen gewappnet hatte. Elyra, Garret und Tarlon mit den schwarzen Schwertern ihrer Familien, Argor mit dem silbrig glänzenden Kriegshammer, den man bisher immer nur in der Schmiede am Kreuzbalken des Dachs hatte bewundern können. Ein Hammer, der sich schon rein äußerlich von einem einfachen Werkzeug unterschied.
Da es mitten im Sommer war, hatten die Älteren davor gewarnt, dass Tod und Pestilenz bald unwillkommene Gäste wären, würde man die Gefallenen nicht schleunigst begraben. Also hatte das Dorf den gesamten Tag damit zugebracht, den feindlichen Soldaten ihre Rüstungen und Waffen auszuziehen und Gräber zu schaufeln. Ein großes Sammelgrab für die toten Feinde, das sich ein gutes Stück außerhalb von Lytara befand, und mehrere einzelne auf dem Tempelhügel des Dorfes, wo die Gefallenen bei ihren Ahnen ruhen würden.
Die Überlebenden standen an den Gräbern, unterhielten sich miteinander, erzählten sich Anekdoten über die Verstorbenen oder verfluchten sie einfach nur, weil sie gestorben waren.
Der Grabhügel war riesig, da in ihm alle Verstorbenen des Dorfes seit dessen Gründung bestattet worden waren, und so wirkte der kleine Tempel mit dem blauen Stern Mistrals auf dem Dach auf dem weiten Feld etwas verloren, doch genau hier kam die Dorfgemeinschaft seit jeher zum Leichenschmaus zusammen.
Der Bürgermeister machte einen Schritt nach vorn und kniete vor dem Schrein der Göttin nieder.
»Mistral, Herrin des Lebens, ich grüße Euch. Ich weiß, dass wir über all die Jahre nicht sehr viel für Euch getan haben, aber andererseits haben wir Euch auch keinen Ärger gemacht. Herrin, ich bitte Euch, nehmt Euch nun der Seelen dieser braven, tapferen Männer und Frauen an. Seid freundlich zu ihnen, denn obwohl sie wie wir alle fehlerhaft waren, sind sie doch unsere Väter, Mütter und Kinder, Brüder, Schwestern und Freunde, und wir lieben sie.«
Elyra, in ihrem hellblauen Kleid, trat neben ihn und sah zu dem blauen Stern auf dem Dach des Tempels hoch. Mit geschlossenen Augen fing sie laut zu singen an.
Es war ein altes Lied, vorgetragen in der alten Sprache, und kaum jemand wusste noch, was seine Worte bedeuteten.
Jeder wusste, dass Elyra eine schöne Stimme besaß, dennoch war es für die meisten das erste Mal, dass sie Elyra
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