Die Kugel und das Opium
Abriss, in ein paar Tagen würde er hier in der engen Wohnung seiner alten Mutter Unterschlupf suchen müssen. Es regnete wirklich überall herein.
Angesichts dieser alten Mutter mit ihren erwachsenen Söhnen fanden wir kein Wort des Trostes. Als wir dann noch erfuhren, dass die alte Dame unter schwerer Osteoporose litt, blieb uns nichts, als sie fest bei der Hand zu nehmen und ihr zu sagen, sie solle sich schonen – so verabschiedeten wir uns mit einem namenlosen Gefühl des Bedauerns und gingen.
In der U-Bahn haben Zhang Xianling und ich kein Wort gesprochen, unser Herz war so schwer, dass wir nicht sprechen wollten. Am Neujahrsabend, als wir das neue Jahr begrüßten, waren wir beiden unangemeldet zu dieser Familie gefahren, im Grunde, um schmerzliche Erinnerungen bei ihnen wachzurufen und sie in noch größere Trauer zu stürzen – oder hatten wir ihnen etwa geholften, ein wenig ihr Leid zu lindern?
Vor einigen Tagen hat uns eine Nachricht der Familie Liu erreicht, in der die alte Dame kundtut, dass sie von heute an den offiziellen Unterschriftenaktionen der Mütter des Tiananmen teilnehmen wolle und sie uns hiermit feierlich ermächtige, ihren Namen auf die Liste zu setzen.
Sun Liyong
(Verein zur Unterstützung politischer und
religiöser Opfer in China)
2011 : Rowdys des 4 . Juni, die noch in Haft sind
Der 4 . Juni 1989 ist erst 22 Jahre her, nach unseren Erkenntnissen sind im Gebiet von Beijing bis heute noch acht sogenannte Rowdys von damals in Haft.
1
Zhu Gengsheng, männlich, etwa 45 Jahre, nach dem 4 . Juni wegen »konterrevolutionärer Brandstiftung« zum Tode verurteilt, ein Urteil, das für zwei Jahre auf Bewährung ausgesetzt wurde, die bürgerlichen Ehrenrechte wurden ihm auf Lebenszeit aberkannt. Zhu Gengsheng wohnte vor seiner Verhaftung in einem Wohnheim der Regierung von Beijing, anschließend ist er in den Bezirk Haidian, in die Gegend des Grabes der Prinzessin gezogen. Zhu Gengsheng wurde in erster Instanz zum Tode verurteilt, in zweiter Instanz wurde dieses Urteil bestätigt, erst der Oberste Volksgerichtshof hat in der Revision das Urteil auf Tod auf Bewährung geändert. Nach dem 4 . Juni konnte man auf den Bändern des Zentralfernsehens von den »Ausschreitungen« in der Nacht des 3 . Juni auf dem Tiananmen einen brennenden Panzer sehen, ein junger Mann steht auf dem Panzer, winkt mit einer Fahne und ruft: »Wir haben gesiegt!« Dieser junge Mann war Zhu Gengsheng. Sein Vater war ursprünglich Sekretär der Nationalregierung zu Zeiten der Republik China gewesen, also vor Gründung der Volksrepublik, während der Kulturrevolution war er in den Tod getrieben worden, und seine Mutter musste ihn und seine beiden älteren Schwestern alleine großziehen. Zhu Gengshengs ältere Schwester arbeitete in der Apotheke des Tongren-Krankenhauses in Beijing. 2006 hat sie ihn mit ihrer alten Mutter im Rollstuhl im Gefängnis besucht, seine Mutter hat zu ihm gesagt, später werde sie vielleicht nicht mehr kommen können, sie hoffe, dass er etwas früher nach Hause werde kommen können – später haben ihn dann nur noch seine Schwestern abwechselnd besucht. Zhu Gengsheng ist nicht verheiratet. Zurzeit verbüßt er seine Strafe im Beijinger Gefängnis Nr. 2 , seine Reststrafe beläuft sich noch auf über drei Jahre.
2
Li Yujun, männlich, etwa 45 Jahre, nach dem 4 . Juni wegen »Brandstiftung« zum Tode verurteilt, ein Urteil, das für zwei Jahre auf Bewährung ausgesetzt wurde, die bürgerlichen Ehrenrechte wurden ihm auf Lebenszeit aberkannt. Das Urteil basierte darauf, dass in der Gegend des Roten Tempels im Distrikt Chaoyang in Beijing-Stadt am 4 . Juni Militärfahrzeuge gebrannt haben. Li Yujuns Eltern waren bei der Staatlichen Baumwollfabrik Nr. 3 beschäftigt, seine Mutter war vor ’ 89 bereits verstorben, sein Vater hatte noch einmal geheiratet, er hat Li Yujun nach seiner Verhaftung nie besucht. Li Yujun hat drei ältere Brüder: Der Älteste war einer der berühmten Schulabgänger während der Kulturrevolution zwischen 1966 und 1969 , ist nach Harbin aufs Land gegangen, hat sich dort niedergelassen und ihn nie besucht; sein zweitältester Bruder arbeitet in einer mittelschuleigenen Fabrik in Balizhuang, hat ihn ab und zu hinter dem Rücken seiner Frau besucht und ihm ein bisschen Taschengeld zugesteckt; sein drittältester Bruder arbeitet in einer Autowerkstatt in Huayuancun und kümmert sich im Grunde nicht um ihn. Li Yujun bestreitet seinen Lebensunterhalt
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