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Die Kugel und das Opium

Die Kugel und das Opium

Titel: Die Kugel und das Opium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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keinen Widerstand mehr geleistet.
    YU ZHIJIAN:
    Wir sind von der Kommandozentrale der Studenten ausgehändigt worden, der Chef der Streikposten hieß Guo Haifeng, er hat seinen Namen genannt, der war noch aufrichtig. Er sagte, der Ständige Ausschuss des unabhängigen Zusammenschlusses der Studenten habe abgestimmt, die Mehrheit sei der Auffassung, man solle uns zur Sicherheitsabteilung des Tiananmen bringen, die unterstehe dem Amt für Öffentliche Sicherheit Bereich Östliches Stadtgebiet, aber er sei strikt dagegen gewesen. Sie hätten sich über das Für und Wider einen halben Tag herumgestritten, ergebnislos, die Sache unserer Überführung hätten sie ihm aufgehalst, denn er sei der Sekretär des Zusammenschlusses. Ich sagte immer wieder, das mache nichts, und nahm die zweitausend Kuai, die ich noch in der Tasche hatte, und habe sie ihm zur Verwahrung gegeben. Er hat mir auf der Stelle eine Quittung ausgestellt. Er wollte auch die Polizisten bitten, ihm eine Bestätigung zu schreiben, dass sie uns übernommen hätten. Wir sind dann im strömenden Regen in den Polizeiwagen gestiegen. Die Polizisten haben uns Handschellen angelegt, Guo Haifeng aber stand noch eine ganze Weile im Regen.
    LIAO YIWU:
    Hattet ihr bei dem ganzen Durcheinander eine Chance zu fliehen?
    YU ZHIJIAN:
    Von der Aktion um halb drei bis abends, wo wir in die Hände der Polizei gerieten, hätte ich bestimmt eine Chance gehabt abzuhauen. Bei den beiden anderen weiß ich es nicht. Aber warum hätten wir abhauen sollen? Wir hatten uns längst moralisch auf die Folgen eingestellt.
    LIAO YIWU:
    Und dann?
    YU ZHIJIAN:
    Wir waren eine Nacht lang in der Polizeistation von Nanchizi inhaftiert, am nächsten Vormittag wurden wir in das Auffanglager gegenüber dem Untersuchungsgefängnis in der Oststadt verlegt. Als wir da hereinkamen, war das ganze Lager komplett leer, in der Zelle war außer mir nur ein Gewohnheitsdieb aus Beijing. Der war ganz gelassen. Wenn es nicht sein musste, blieb er liegen. Rauchte und schlief, schlief und rauchte. Und wenn er Wasser haben wollte, musste ich ihn bedienen. Was sollte ich machen? Schweigen ist schwer zu ertragen, und auch zwei Menschen, die wie Feuer und Wasser sind, fangen, wenn man sie zwangsweise zusammensteckt, einfach an, miteinander zu reden. Damals wollte ich unbedingt mitbekommen, wie es mit der Bewegung weiterging, aber ich war von allem isoliert. Man kann sagen, dass die Organe der Öffentlichen Sicherheit, der Staatsanwaltschaft und des Gerichts in Beijing damals halb paralysiert waren, selbst die Wärter ließen sich nur sehr selten sehen. Ich nehme an, sie beobachteten erst einmal und warteten, wohin die Waage des Machtkampfs innerhalb des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei ausschlagen würde.
    LIAO YIWU:
    Ihr wart die ersten Delinquenten, erstaunlich, dass man euch nicht in der folgenden Nacht gleich verhört hat!
    YU ZHIJIAN:
    Um den 4 . Juni herum hat uns über einen halben Monat lang kein Mensch verhört, niemand hat uns Fragen gestellt. Neben essen, trinken und der Notdurft haben wir nur herumgelegen. Meine Herren, mir haben vom vielen Schlafen die Knochen weh getan. Ein Glück, dass ich von Natur aus eher faul bin, ich habe schon früh gelernt, zu schlafen wie ein Toter, wenn etwas war, habe ich nicht viel darüber nachgedacht, wenn der Himmel einstürzen will, dann hat es keinen Sinn, wenn man sich wünscht, er solle es nicht tun, da macht man sich nur unnötige Sorgen.
    LIAO YIWU:
    Das hat was von
Zhuangzi.
    YU ZHIJIAN:
    Bis zum 3 . Juni um Mitternacht, da ging draußen vor dem Auffanglager das Schießen los, es klang wie Bohnenbraten, da bin ich aus meinen Träumen erwacht. Verdammt! Sie schossen! Also doch! Diese Sauhunde schossen also doch! Meine Vorahnungen und die Vorahnungen von Yu Dongyue wurden bestätigt. Mit dem Spruch: »Die Macht kommt aus den Gewehrläufen« hat die Kommunistische Partei angefangen. Wie konnten die Studenten und die Literaten diese alten Stammtischpolitiker, die, ohne mit der Wimper zu zucken, töteten, derart auf die leichte Schulter nehmen? In dieser Nacht habe ich kein Auge zugemacht, ich bin in der Zelle auf und ab getigert, bis es hell wurde. Ich hatte am ganzen Körper unkontrollierte Krämpfe, die Anspannung … Der Gewohnheitsdieb hat mich noch gutherzig ermahnt, wenn es im Staat drunter und drüber gehe, könne ich die Probleme auch nicht dadurch lösen, dass ich mich aufrege. Ist ja nicht wie pinkeln, man pinkelt, und alles ist erledigt.
    Am

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