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Die Kugel und das Opium

Die Kugel und das Opium

Titel: Die Kugel und das Opium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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»wusch« zischte eine Kugel an meinem Mundwinkel vorbei. Instinktiv wich ich mit dem Kopf nach rechts aus, sah sofort Sterne, und ein heißes Kribbeln stieg mir von den Füßen hoch in den Kopf. Ich war ein paar Sekunden ganz benommen, das ging doch nicht, verdammt, die schossen ja, und das waren nicht die Gummigeschosse, von denen immer die Rede gewesen war! Ich nahm die Beine in die Hand und machte, dass ich wegkam, die Kugeln zischten hinter mir her, am Kopf, an den Armen, den Hüften, wusch, wusch, wusch, ein dauerndes Prickeln, die Kugeln prallten gegen die Bodenplatten und schlugen Funken. Meine Hose wurde ganz heiß, wahrscheinlich habe ich mir in die Hose gemacht. Ein Glück, dass ich nicht so groß bin, ein kleines Ziel, das hat mir das Leben gerettet. Neben mir sind die Leute umgefallen wie die Fliegen, das Blut spritzte nur so, dann bildete sich eine Lache, dann zwei, dann zahllose Lachen. Über zehn Menschen lagen kreuz und quer auf dem Boden, da wurde geweint, geschrien, das waren schon keine menschlichen Laute mehr. Ich war noch nicht von einer Kugel getroffen und rannte noch, ich konnte nicht genau hinsehen. Ich erinnere mich, dass ich beim Rennen etwas schrie wie: »Man darf die Gewehre nicht auf das Volk richten! Man darf die Gewehre nicht auf das Volk richten!!« Hören Sie genau zu, das war meine Fluchtparole als Chef der »Todesschwadron der Schwarzen Panther«. Hat sie irgendeinen Wert?
    LIAO YIWU:
    Dem Gefühl nach schon. Hehehe.
    HU ZHONGXI:
    Hehehe.
    LIAO YIWU:
    Ihre Schilderung weicht von einer ganzen Reihe von Schilderungen der studentischen Elite ab.
    HU ZHONGXI:
    Diese Studentenführer, was haben sie die Parole »Bei unserem Leben, es wird nicht geräumt« über den Platz donnern lassen, ob sie sich nachher dann zurückgezogen haben, davon hatten wir keine Ahnung. Nachts habe ich noch Chai Ling [21] gesehen, zusammen mit ihrem frisch Angetrauten Feng Congde. Wer war da noch? Im Augenblick fällt mir niemand mehr ein. Richtig, die »Todesschwadron der Dongbei-Tiger« hat noch hinten bei der Gedenksäule ein Maschinengewehr aufgebaut, Liu Xiaobo ist mit ein paar Leuten da hin, damit sie ihre Waffen abgeben. Und noch später hatte es keinen Sinn mehr, auf Biegen und Brechen die Stellung zu halten, unsere Truppe hat sich dann aufgelöst. Für ein paar von unseren Leuten von außerhalb haben wir alle ein bisschen Geld und Lebensmittelmarken besorgt und sie als Erste zurückgeschickt.
    LIAO YIWU:
    Dann war die Revolution ohne vorherige öffentliche Erklärung zu Ende.
    HU ZHONGXI:
    Das habe ich auch gedacht. Und dann bin ich wieder zur Arbeit. Am 12 . Juni, meinem Geburtstag, hatte ich Frühschicht und am Nachmittag schon vor fünf Feierabend. Ein sehr heißer Tag, und todlangweilig, also habe ich mir ein kleines Restaurant gesucht, habe drei Liang Schnaps und zwei kalte Gerichte bestellt, eine Hühnerkralle, und dachte bei mir, die Patrioten haben verloren, und es sind so viele Leute ums Leben gekommen, also tu dir was Gutes, was bleibt dir sonst, schließlich will ein Geburtstag gefeiert werden. Doch ich hatte das noch nicht recht vor mich hin gemurmelt, mir gerade den Schnaps eingegossen, da hielt mir jemand eine Pistole an den Hinterkopf.
    Es war wie im Theater, er brummte: Keine Bewegung! Sonst bist du tot! Anschließend wurde ich gepackt, dann haben sie mich in den ersten Stock des Bezirksreviers geschafft, mich in einen finsteren Raum gestoßen, ein paar Polizisten haben sich um mich herum aufgebaut und ohne weitere Erklärung angefangen, auf mich einzuschlagen. Mein Gott, ich habe mich auf dem Boden hin und her gewälzt, ich habe mich zusammengekrümmt und widerstrebend die wichtigen Teile geschützt. Der Schlimmste war so ein Kleiner, der hat mir mit voller Wucht vor den Unterleib getreten, das hat so weh getan, dass ich geschrien habe: »Verdammte Scheiße, du kannst mich doch nicht dahin treten, warum ausgerechnet dahin?« Nun gut! Das kleine Arschloch grinste tückisch, riss mich hoch und zog das Knie durch.
    Dann sind sie mit Elektroknüppeln, Stiefeln, Stöcken und Stuhlbeinen über mich hergefallen. Sie haben sich gegriffen, was ihnen gerade in die Hände kam. Eine Weile musste ich knien, eine Weile musste ich kriechen, eine Weile gegen die Wand lehnen, und dann haben sie mir jäh ein Bein weggezogen. Auf diese Weise wurde ich misshandelt und verhört, wenn die Antwort ein bisschen zu langsam kam, haben sie mich mit zwei Elektroknüppeln in die Mitte genommen. Mein Gott! Das

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