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Die Kugel und das Opium

Die Kugel und das Opium

Titel: Die Kugel und das Opium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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eigene Faust die »Todesschwadron der Schwarzen Panther« gegründet, mit über fünfzig Mitgliedern, Arbeiter, Studenten und auch Leute von außerhalb. Ich übernahm die Leitung. Unsere Hauptaufgabe war die Aufrechterhaltung der Ordnung bei den Demonstrationen, Tröstung der Studenten und Versorgung von allen mit Lebensmitteln und Getränken (das schloss auch die Soldaten ein, die vor Ort Gewehr bei Fuß standen). Weiter haben wir auch Posten aufgestellt, die rechtzeitig Kontakt aufnehmen und die Situation an den verschiedenen Kreuzungen übermitteln konnten.
    LIAO YIWU:
    Sie haben sich auch um die Soldaten gekümmert?
    HU ZHONGXI:
    Wie sollten wir nicht? Der Ausnahmezustand war kaum verhängt, als diese Soldaten vom Land, das waren doch alles noch Babys, von der Kommunistischen Partei in die Einöde gebracht wurden, wo man sie isolierte und ihnen eine Gehirnwäsche verpasste; kein Fernsehen mehr, keine Zeitungen, sie konnten sich nur noch hinter der Standarte ihres Kommandeurs versammeln. Als sie Richtung Beijing in Marsch gesetzt wurden, waren sie ganz dumpf im Hirn, was die konkrete Lage anging, tappten sie völlig im Dunkeln. Deshalb mussten wir einfachen Leute ihnen geduldig erklären, was Sache ist. Die Aufgabe der Armee war es doch, den Staat zu schützen und das Land zu verteidigen, was sie also in Beijing wollten? Wieso denn die Hauptstadt so viele Soldaten brauche? Schaut euch doch um, sehen wir alle aus wie konterrevolutionäre Schurken? Wir bringen euch ein Eis am Stiel, wenn es heiß ist, wir selbst versagen uns das, wo gibt es denn so edle Schurken?
    LIAO YIWU:
    Wie haben die Soldaten denn reagiert?
    HU ZHONGXI:
    Sie haben den Kopf hängen lassen, wie Marionetten. Ihre Gesichter standen ganz unter Wasser, keine Ahnung, ob das Schweiß war oder Tränen. Ich schätze, sie hatten den Befehl, nicht mit den Massen zu reden, deshalb haben sie es zwar nicht abgelehnt, aber, wenn sie so ein Eis annahmen, nur ein »Danke« oder ein Kopfnicken zustande gebracht.
    LIAO YIWU:
    Sie können Menschen wirklich aufrütteln.
    HU ZHONGXI:
    Vielen Dank für die Blumen. Aus diesem Ausdruck des Patriotismus ist später dann ein konterrevolutionäres Verbrechen gemacht worden. Als ob ich wunders was vorgehabt hätte?
    LIAO YIWU:
    Keine Ahnung. Bei Gelegenheit sollten Sie den Schlächter Li Peng fragen, was Sie eigentlich vorhatten!
    HU ZHONGXI:
    Wer hätte denn damals gedacht, dass sich von einem Augenblick auf den anderen der Himmel derart verdunkeln würde? Wir hatten in unserer Todesschwadron einen jungen Burschen, gerade einmal siebzehn, der kam von einer Gemeinschaftswohnung der Armee, ein sehr mutiger Junge, der kommandierte fünf, sechs Leute, und als er auf der Straße plötzlich auf einen Soldaten der Volksbefreiungsarmee traf, blieb der auf einmal wie angewurzelt stehen, hat direkt seine Waffe auf den Boden geschmissen und sich auf und davon gemacht.
    Unser Junge ist mit bleichem Gesicht auf die Waffe los, da waren noch zweihundert Schuss drin. Zu diesem Zeitpunkt war ich nicht auf dem Tiananmen, später dann, als ich davon hörte, habe ich sie sofort aufgefordert, das Ding auf der Stelle wegzuwerfen. Aber er wollte es nicht hergeben und murmelte etwas, er wolle mit dem Gewehr auf der Schulter den Berg erstürmen. Ich sagte, wie willst du mit dieser alten Schrottknarre einen Angriff führen? Lächerlich.
    LIAO YIWU:
    Und dann?
    HU ZHONGXI:
    Der Junge war noch nicht trocken hinter den Ohren, wir mussten ihn zwingen, das Gewehr wegzuwerfen und die Munition zu vergraben, es gab keine andere Möglichkeit. Aber er war hartnäckig, er hat vor aller Augen am Südufer ein paar Patronen verbuddelt, aber am Ende hat er einen Augenblick der Unachtsamkeit unsererseits abgepasst und ist mit dem Gewehr verschwunden, spurlos.
    LIAO YIWU:
    Ähnliches haben viele erlebt. Sie haben es nicht über sich gebracht, die Waffen einfach wegzuwerfen, und das hat sie zu »Rowdys« gemacht.
    HU ZHONGXI:
    Stimmt. Aber wir alle waren so jung und solche Hitzköpfe, wir haben nicht besonders viel überlegt. Der Tag, an dem sie mich geschnappt haben, war auch noch mein vierundzwanzigster Geburtstag. Es hat nicht viel gefehlt, und sie hätten mich an meinem Geburtstag totgeschlagen.
    LIAO YIWU:
    Himmel! Machen wir weiter. Wo waren Sie, als die Stadt in ein Schlachthaus verwandelt wurde?
    HU ZHONGXI:
    Auf dem Tiananmen. An der Ecke im Südosten. Ich war ganz allein unterwegs, wenn ich unterwegs jemanden traf, grüßte ich ihn und ging weiter,

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