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Die Kugel und das Opium

Die Kugel und das Opium

Titel: Die Kugel und das Opium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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verurteilt. Mein Anwalt war ein rechtschaffener Mann, er hat sich wirklich alle Mühe gegeben. Ich selbst auch. Aber wie der generelle Trend zeigte, machte das keinen Unterschied.
    Als ich ins Qincheng kam, ist der Anwalt extra vorbeigekommen, um mich zu besuchen. Mein Verbrechen war »bewaffneter, konterrevolutionärer Massenputsch«. Als ob ich irgendwelche Waffen gehabt hätte! In der gesamten Studentenbewegung habe ich nicht einmal so etwas Konterrevolutionäres gerufen wie »Nieder mit der Kommunistischen Partei«, ich habe auch keine Flaschen geworfen oder Ziegelsteine, aber wen sie verurteilen wollen, den verurteilen sie, wen sie umbringen wollen, den bringen sie um, alles andere ist Unsinn. Da gibt es kein Vertun! Wer das Wolfsfell des Gesetzes umhat, mit dem kann man nicht mehr reden!
    LIAO YIWU:
    Ich habe mir sagen lassen, dass im Qincheng-Gefängnis nur hochrangige politische Gefangene inhaftiert gewesen sind.
    HU ZHONGXI:
    Ich als unbedeutender politischer Gefangener habe dort zwei, drei Monate zugebracht, dann bin ich in das Auffanglager der Stadt Beijing im Kreis Daxing gekommen. Dort waren über hundert sogenannte Rowdys vom 4 . Juni eingesperrt. Ich erinnere mich, dass eines Tages zwei Rowdys zu uns in die Zelle kamen, ein Alter und ein grüner Junge, erkennbar Vater und Sohn, dem Alten hatten sie die Hüfte gebrochen, er war lendenlahm, seine Klamotten waren völlig zerlumpt; der Kleine war nicht älter als elf, zwölf Jahre, die Fußabdrücke von den Tritten auf dem Rückgrat waren noch genau auszumachen, und das noch nach Monaten! Von wegen, »Armee und Volk sind wie Fisch und Wasser«. Es ist Scheiße, so mit einem kleinen Jungen umzuspringen.
    Wissen Sie, was man als »Summer« bezeichnet? Einen großen Wasserschlauch, ein Schlag, ein Summen, wenn man sich etwas zuschulden hat kommen lassen, bekam man jedes Mal mindestens zehn von diesen »Summern«.
    WU WENJIAN:
    Haha, ich bin zwei-, dreimal »gesummt« worden.
    HU ZHONGXI:
    Ich auch.
    LIAO YIWU:
    Im Umerziehungslager, war es da besser?
    HU ZHONGXI:
    Man wurde weniger geschlagen, aber man musste mehr arbeiten. Vor allem in der Kleiderverarbeitung, jeden Tag weit über zehn Stunden, Knöpfe annähen, lose Fäden abschneiden, umnähen, da würden wir bis zum Jüngsten Tag nicht fertig werden. Am schlimmsten war die Herstellung von Glasfasern. Wenn man sich da nach der Arbeit hinlegte, hat es einen überall gejuckt. 1998 bin ich rausgekommen, da hat der Körper nicht mehr mitgemacht. Aber ohne Geld kann man nicht in ein Krankenhaus gehen, also habe ich mir selbst irgendeine Medizin gekauft und eingenommen.
    Ich war knapp zehn Jahre eingesperrt, die Gesellschaft und die Menschen haben sich in dieser Zeit vollkommen verändert, wir sind an den Rand des Randes gedrängt worden, kein Mensch hat sich um uns gekümmert. Also krebsen wir auf dem Existenzminimum herum, ein lausiges Leben.
    LIAO YIWU:
    Sind Sie mit ihren Eltern zusammen?
    HU ZHONGXI:
    Auf gerade einmal zwanzig Quadratmetern, zu fünft! Meine Eltern, meine Schwester, mein Neffe und dann noch ich alter Kerl.
    WU WENJIAN:
    Du bist schlimmer dran als »der geschwätzige Zhang Damin« aus dem Roman [22] . Aber du bist nicht allein, es gibt Rowdys vom 4 . Juni, denen geht es noch schlechter als dir.
    HU ZHONGXI:
    Zwischen 1998 und 2003 habe ich so vor mich hin vegetiert, das alte Haus musste abgerissen werden. Weil ich im Knast war, haben sie mir das Einwohnerrecht weggenommen, von den sechsundneunzigtausend Entschädigung für den Abriss, die mir nach dem Gesetz zustanden, habe ich nichts gesehen, bekommen habe ich nur die Mindestunterstützung von zwanzigtausend. Da bin ich auf einmal so böse geworden, ich also ab zum Revier, zum Büro des Nachbarschaftskomitees, es hat nichts genutzt. Aufgebracht, wie ich war, habe ich³ mir einen Kanister Benzin gekauft, ich wollte mich auf dem Tiananmen selbst verbrennen. Meine Frau hat das mitbekommen und mich daran gehindert, sie hat die 110 angerufen, mit dem Resultat, dass die Polente mich festgenommen und auf den Boden gedrückt hat. Die haben gesagt, was machst du denn? Ich habe gesagt, gar nichts, ich bummele nur so durch die Gegend. Und warum schleppst du dabei einen Benzinkanister mit? Ich sagte, den hätte ich an der Straße gefunden. Sie konnten mich nicht mitnehmen, also haben sie den Kanister beschlagnahmt und mich gehen lassen.
    LIAO YIWU:
    Traurig genug.
    HU ZHONGXI:
    Finde ich eigentlich nicht, ich habe eine gute Frau.
    LIAO YIWU:
    Ach

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