Die Kultur der Reparatur (German Edition)
Farbe gespritzt. Es machte Eindruck, zumindest auf uns, und wir hofften natürlich insgeheim, so manche Schulkameradin beeindrucken zu können, der wir es mit Stolz präsentierten. Anthropologen oder Verhaltensforscher könnten hier eine Parallele zum Balzverhalten in der Tierwelt ziehen, nach dem Motto: „Wer hat die größten Lautsprecherboxen mit dem sattesten Sound?“
Überhaupt, Boxenbau war das Nonplusultra in meiner Jugend. Wir fachsimpelten über High-Fidelity-getreue Wiedergabe, über Übertrager, Frequenzgang, Frequenzlinearität, Frequenzweichen, Bassreflexboxen, Dezibel usw. Wir waren auf den Partys für die Musik-Technik zuständig, aber natürlich auch für die Musik selbst. Wer die neuesten Songs der Hitparade auflegte, war in der Lage, den Gang einer Party zu beeinflussen. Damals hatte der karierte Hemden tragende technisch begabte Typ wirklich gewisse Vorteile beim anderen Geschlecht. Heute ist das schwer vorstellbar: Kürzlich las ich eine Bekanntschaftsanzeige, in der eine junge Dame sehr präzise die Anforderungen an einen potenziellen Partner benannte, und – zu meiner Enttäuschung – als wichtigstes Auswahlkriterium „kein Physiker“ aufführte.
Damals lasen wir die Funkschau , bestellten von Bürklin, Conrad, Radio Riem oder anderen einschlägigen Elektronikfachhändlern die Bauteile, besorgten uns Schaltpläne und verbrachten Wochenenden mit Basteln und Reparieren. Das baute auf der intensiven Beschäftigung mit den Kosmos-Baukästen auf, die wir als Kinder besaßen. Der Chemiebaukasten oder der „Radiomann“ sind für mich Ikonen, die ich heute noch in meiner Sammlung habe. Weil man zu der Zeit noch bei vielen Dingen selbst Hand anlegen musste, sind wir mit einer Kultur des Bauens, des Basteln und des Reparierens aufgewachsen. Bei den vielenFesten im Sommer kümmerte sich kein Veranstalter um Infrastruktur und Logistik, wir mussten selbst zum Beispiel ein Motordrehgestell bauen, um darauf das Schwein zu grillen. Wenn das Moped mal nicht lief, war es eine Selbstverständlichkeit, einander zu helfen, um es wieder flott zu bekommen.
Als Jugendlicher besaß ich auch eine Reihe von Büchern, die in den sechziger Jahren im Stuttgarter Motorbuch-Verlag unter dem Titel Jetzt helfe ich mir selbst erschienen. Es waren Reparaturanleitungen für verschiedene Fahrzeugtypen, vom Audi bis zum Mercedes, Zielgruppe waren fortgeschrittene Schrauber. Keine andere Sachbuchreihe auf diesem Sektor war so erfolgreich. Als mein erstes Auto komische Geräusche machte, musste ich nur den Band über den Fiat 127 herausholen, der sich natürlich längst in meiner Sammlung befand.
Jedes Mal, wenn an dem Auto etwas zu machen war, kramte ich das Buch mit seinen exakten Anleitungen hervor. Mit seiner Hilfe konnte ich beispielsweise den Zündzeitpunkt einstellen, nachdem ich die Einkerbungen in der Nockenwelle entdeckt hatte. Heute stellt wohl niemand mehr den Zündzeitpunkt ein. Geht ja nur noch bei Oldtimern. Das Wissen aber, das man sich bei solchen Reparaturtätigkeiten aneignet, kann mir keiner nehmen – und es hat mein Verständnis des Gesamtkonstrukts Auto deutlich vergrößert, ebenso meine Bewunderung für die Erfinder. Noch heute kaufe ich mir gelegentlich auf einem Flohmarkt Bücher über Autoreparatur, die schon zu Beginn des letzten Jahrhunderts erschienen sind.
Der Zündzeitpunkt ist nur ein Synonym dafür, dass ich mich mit einem Problem beschäftigt habe, mit einer Anleitung, die zu einer Lösung führt. Ein Beispiel für angewandtes analytisches Denken. Denn sitze ich zum Beispiel in meinem Fiat 127 und er fängt plötzlich an zu stottern, kann ich zwei Dinge machen: Wenn ich genügend Geld habe, bringe ich den Wagen in die Werkstatt, und innerhalb einer bestimmten Zeit bekomme ich mein Auto zurück. Es läuft top, ich bin zufrieden und zahle die Reparatur. Oder ich kann sagen: „Ich will der Sache doch mal selbst auf den Grund gehen.“ Ich wurde zu einem Menschen, der den Dingen grundsätzlich selber auf den Grund gehen will.
Von alten Meistern lernen
Reparieren hatte aber auch in meinem Leben nicht nur mit Autos und anderen Männerspielzeugen zu tun. Als Kind hatte ich nicht nur Werk-, sondern auch Handarbeitsunterricht: von Linolschnitt bis zu Holzarbeiten. Und als Erwachsener nahm ich auch mal Nadel, Garn und einen Stopfpilz in die Hand, um an Fersen und Zehen durchgescheuerte Socken zu reparieren. In dem Moment, in dem die erste dünne Stelle über dem Stopfpilz spannte, schien mein
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