Ein vortrefflicher Schurke (German Edition)
Geneigte Leserin, geneigter Leser,
ich möchte mich gewiss nicht beklagen, aber was meine älteste Enkeltochter Minerva angeht, bin ich mit meiner Geduld am Ende. Sie beharrt darauf, ihre Schauerromane unter ihrem richtigen Namen zu veröffentlichen! Das tut sie nur, um die Leute zu schockieren, ohne sich einen Deut darum zu scheren, dass sie damit auch sämtliche potenziellen Verehrer abschreckt.
Oh, ich weiß, sie sagt, sie will nicht heiraten, aber das ist purer Unsinn. Ich sehe doch, wie neidisch sie auf ihre frischvermählten Brüder ist. Und obwohl sie ein wenig eigensinnig ist, gäbe sie eine gute Ehefrau für einen Gentleman ab, der sich mit ihr sicherlich niemals langweilen würde.
Aber bemüht sie sich, die Sache voranzutreiben? Nein. Stattdessen schreibt sie blutrünstige Bücher über Mord und Totschlag. Vielleicht sollte ich einen durchtriebenen Spion ausfindig machen, der sie auf eine verfallene Burg entführt. Das könnte der Göre sogar gefallen, doch ihren beiden jüngeren Geschwistern Gabe und Celia könnte es einen falschen Eindruck von der Ehe vermitteln.
Die neueste List, die Minerva ersonnen hat, ist, Vorstellungsgespräche mit potenziellen Ehemännern zu führen. Zu diesem Zweck hat sie eine Anzeige im
Lady’s Magazine
aufgegeben – das muss man sich einmal vorstellen! Damit wollte sie mich natürlich nur unter Druck setzen und mich dazu bringen, dass ich mein Ultimatum zurückziehe, doch da kann sie sich auf eine Überraschung gefasst machen. Ich werde nicht von meiner Entscheidung abrücken, wie viele Verehrer auch den Weg zu unserer Tür finden mögen.
Mich beunruhigt allerdings, dass Mr Giles Masters sich auf ihre Anzeige gemeldet hat. Er scheint fest entschlossen zu sein, Minerva für sich zu gewinnen – und er ist meines Wissens der einzige Mann, auf den sie nicht mit Gleichgültigkeit reagiert. Schade, dass er so ein Schurke ist, wie mir ihre Brüder unzählige Male berichteten!
Andererseits waren auch meine Enkelsöhne wahre Satansbraten, bevor sie geheiratet haben. Ist Mr Masters vielleicht aus demselben Holz geschnitzt? Ich hoffe es für Minerva, denn sie scheint recht fasziniert von ihm zu sein. Ich frage mich, ob er irgendwo eine verfallene Burg besitzt. Das könnte womöglich den Ausschlag geben!
Ich muss den Fortgang dieser Angelegenheit streng überwachen, aber so oder so möchte ich meine Enkeltochter eines Tages glücklich verheiratet sehen. Zur Not auch mit einem Schurken!
Ihre sehr ergebene
Hetty
Prolog
Halstead Hall, Ealing
1806
Auf den Blättern der Buchsbaumhecken krabbelte Ungeziefer herum. Mama würde sicher mit dem Gärtner schimpfen.
Der neunjährigen Minerva kamen die Tränen. Nein, Mama
konnte
gar nicht schimpfen. Sie lag in diesem schrecklichen Sarg in der Kapelle. Neben dem, in dem Papa war.
Im hintersten Winkel des Irrgartens versteckt, presste Minerva die Lippen fest zusammen, um nicht zu weinen. Man könnte sie hören, und sie wollte auf keinen Fall gefunden werden.
Eine Stimme drang durch die Hecken. »Wie konnte das Mädchen so schnell verschwinden?«
Es war Desmond Plumtree, Mamas Vetter ersten Grades.
»Diese Trauerfeier ist eine Farce!«, murrte seine Frau Bertha. Wie es klang, kamen sie ihr immer näher. »Nicht, dass ich es Prudence verüble, dass sie den Schwerenöter erschossen hat, aber wie konnte sie sich nur selbst umbringen? Deine Tante Hetty kann froh sein, dass die Geschworenen Pru für unzurechnungsfähig befunden haben. Sonst würde die Krone das gesamte Familienvermögen einkassieren.«
Minerva machte sich noch ein bisschen kleiner und betete, dass die beiden nicht um die Ecke kamen und sie entdeckten.
»Wie hätten sie auch sonst urteilen sollen?«, fragte Desmond. »Sie war eindeutig nicht bei Verstand.«
Minerva musste sich auf die Zunge beißen, um nicht lautstark zu protestieren. Es war ein Unglück gewesen – ein schreckliches Unglück, hatte Großmutter gesagt.
»Deshalb will deine Tante die Kinder wohl auch in der Kapelle dabeihaben«, erwiderte Bertha. »Um den Leuten zu zeigen, dass es sie nicht kümmert, was über ihre Tochter geredet wird.«
Desmond schnaubte. »Tante Hetty ist tatsächlich der Ansicht, dass die Bälger sich persönlich verabschieden sollen. Die verfluchte Frau hat kein Problem damit, sich über gesellschaftliche Konventionen hinwegzusetzen, wenn es ihr dienlich ist, ganz egal, was es für den Rest der …«
Die Stimmen entfernten sich wieder, und Minerva verließ ihr Versteck, um in die
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