Die Kultur der Reparatur (German Edition)
Gehirn alte Synapsenverbindungen zu mobilisieren. Meine Stopfresultate waren keine Meisterleistung, aber recht passabel.
Wenn ich Socken stopfen kann, so dachte ich mir eines Tages, dann bin ich vielleicht auch in der Lage, einenkaputten Reißverschluss aus einem Anorak herauszutrennen und einen neuen einzunähen. Mein Lieblingswinteranorak wurde zum Experimentierobjekt. Mit etwas Geduld und viel Fingerspitzengefühl gelang auch das. Die Gesellenprüfung hatte ich nun sozusagen bestanden. Jetzt war es Zeit für die Kür.
Seit vielen Jahren steht bei uns zu Hause eine Ledernähmaschine herum – nicht in der Werkstatt, sondern in unserem Wohnzimmer. Gekauft habe ich sie auf einem Flohmarkt in Italien, ein Riesending, ein metallenes Designobjekt, das ich noch nie benutzt hatte. Das sollte sich nun ändern: Die Hosenträger meiner wunderschönen alten Lederhose mussten dringend repariert, das Leder musste neu vernäht werden, es gab keine Ausrede mehr. Ich musste mich mit der Funktionsweise der Maschine auseinandersetzen. Ich lernte, dass die Spule mit dem Unterfaden einzusetzen war. Für Menschen, die wissen, wie man eine Unterfadenrolle in eine solche Nähmaschine einsetzt, ist das kein Problem. Ich hatte nicht den blassesten Schimmer.
Auf Anhieb schaffte ich es nicht. Zwar wurde der Unterfaden von der Nadel hochgezogen, aber so richtig nähen wollte die Maschine nicht. Was tun? Ich dachte, dass mir ein Säckler, ein Lederhosenmacher, eine Hilfe sein konnte. Das Säckler-Handwerk gibt es ungefähr seit dem 12. Jahrhundert. Es war mit der Zeit nicht mehr nur für die Herstellung von Lederhosen zuständig, sondern auch für ihre Verzierung mit speziellen Stickereien – eine unglaubliche Handarbeit auf dem festen Material. Doch wo konnte ich einen Säckler finden? Ähnlich wie der Fassbinder oder Böttcher, der Hersteller von Holzfässern, ist das Handwerk des Säcklers ein aussterbendes. Kürzlich hatte ich jedoch ein Street-Festival in Mittenwald besucht, auf dem alljährlich Säckler auftraten. So fand ich schließlich an meinem Wohnort einen Säckler, einen außergewöhnlich liebenswerten Mann. Als ich ihn nach Nachwuchs in diesem Handwerk fragte, antwortete er traurig: „Nein, Nachwuchs gibt's nicht.“ Danach erklärte ich ihm mein Problem – und er mir, wie ich den Unterfaden einzuziehen hatte. Beschwingt kehrte ich nach Hause zurück. Ich hatte das Prinzip des Unterfadens bei einer Ledernähmaschine verstanden. Und der schon etwas ältere Säckler hatte sich gefreut, dass sich jemand für sein Handwerk interessiert hatte. Obwohl ich bei ihm keine Lederhose gekauft habe oder „reparieren“ ließ, sondern nur einen Tipp haben wollte, nahm er sich viel Zeit für mich: Wenn ich mal eine neue Garnitur anschaffen werde, ist sein Geschäft meine erste Wahl.
Der Säckler hatte bei mir vor allem eines hinterlassen: den Eindruck von Lebensklugheit. Und die benötigt man auch, um Reparaturen durchführen zu können. Damit ist nicht nur das Wissen gemeint, welche Werkzeuge und Materialien man am besten verwendet, sondern auch die richtige Strategie zur Fehlerfindung und -behebung. Da gehört natürlich viel Erfahrung dazu. Menschen mit speziellen Fertigkeiten, wie der Säckler, sind oft sehr angenehme Zeitgenossen, bescheiden und herzlich. Ihre Lebens- und Reparaturklugheit äußert sich unter anderem darin, dass sie beim Reparieren nicht übertreiben. Sie können einschätzen, wann es sinnvoll ist, Defektes defekt sein zu lassen. Das hängt von den eigenen Möglichkeiten ab, von der Einschätzung des ökologischen und ökonomischen Nutzens, aber auch davon, wie viel Spaß die Arbeit macht.
Ich habe mittlerweile eine kleine Schausammlung von defekten Geräten und Bauteilen aufgebaut, die so auseinandergenommen sind, dass man die Ursache für das Versagen, das Kaputtgehen, auch nachvollziehen kann. So konnte ich zum Beispiel den Nachbarskindern anhand eines völlig verkalkten Abflussrohres sehr schön erklären, welche Auswirkungen der Kalkgehalt des Wassers haben kann und warum ein auf nur noch die Hälfte verengter Rohrquerschnitt die Funktionsfähigkeit des Abflusses fast komplett außer Kraft setzt. Und dass man seine Geräte, sei es im Haushalt oder am Arbeitsplatz, mit Sorgfalt behandeln und genau beobachten sollte, um die sich oftmals früh ankündigenden Ausfälle rechtzeitig zu erkennen – und größere Probleme zu verhindern. Dabei ist es keineswegs notwendig, immer den Klempner anzurufen, wenn der
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