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Die Kultur der Reparatur (German Edition)

Die Kultur der Reparatur (German Edition)

Titel: Die Kultur der Reparatur (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang M. Heckl
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anzusetzen. Einen iPod öffnet man auch besser nicht mit einem solchen – sonst verkratzt man das Plastik –, sondernmit dafür geeigneten speziellen Plastikhebegriffeln. Auch das ist eine Entfremdung von den von Menschenhand geschaffenen Dingen: wenn der einfachste Einblick in das Innere, das Erahnen von Funktionen durch das Design bewusst verwehrt wird.

Effizienz über alles
    Voraussetzung für Kurzlebigkeit, Massenproduktion und günstige Preise sind günstige Ressourcen. Dafür muss man sie ausbeuten – und nicht nur sie.
    An einem willkürlichen Beispiel sollen die Folgen dieser Ausbeutung kurz veranschaulicht werden: 2012 starben in Textilfabriken in Dhaka, der Hauptstadt von Bangladesch, über hundert Arbeiterinnen. Sie verbrannten. Die Ursache des Feuers ist unklar, wahrscheinlich waren aber mangelhafte Kabel dafür verantwortlich. Die Brände machten nicht nur auf die Sicherheitsstandards aufmerksam, unter denen die Fabrikarbeiter Kleidung herzustellen haben. Sie machten auch öffentlich, was sonst selten öffentlich wird: dass dort unter menschenunwürdigen Bedingungen Waren gefertigt wurden. Zwei Monate zuvor hatte es in einer Textilfabrik in Pakistan gebrannt, in diesem Feuer verloren mehr als dreihundert Menschen ihr Leben – der Betrieb in Karachi hatte Jeanswaren für einen Textildiscounter produziert. Die Katastrophen sind keine Einzelfälle. Fast die gesamte Textilindustrie in Deutschland ist in Länder ausgelagert, von denen man annahm, dass dort alles viel billiger herzustellen sei. Doch auf wessen Kosten?
    Zu oft allein auf Kosten der Menschen, die unter Bedingungen arbeiten, die keiner in Europa akzeptieren würde. In denTextilfabriken wurden die Arbeiterinnen so eng wie möglich zusammengepfercht, um die Raumkosten zu reduzieren. Als dann das Feuer bei Tazreen Fashion in Dhaka ausbrach, gab es viel zu wenige Notausgänge, die Frauen wurden vom Feuer eingeschlossen und kamen darin um.
    Nach Angabendes Statistischen Bundesamts wurde in Deutschland 2011 Bekleidung im Wert von 2,8 Milliarden Euro importiert. Wir können diese Masse an Waren nur so billig kaufen, weil wir es hinnehmen, dass Menschen und Ressourcen ausgebeutet werden, Umweltschäden eingeschlossen.
    Ein weiteres Problem bei diesem Outsourcing ist, dass die Kompetenz unseres Nachwuchses auf der Strecke bleibt. Wir haben heute einen eklatanten Fachkräftemangel. Aber das Problem greift noch tiefer. Einst gehörten zum Beispiel die Schweinfurter Werke von Fichtel & Sachs zum Leben, jedes Kind wusste, welche Motoren dort gebaut wurden, dass dort 1903, mit der Erfindung der Torpedo-Freilaufnabe mit Rücktrittbremse, das Fahrrad seinen Siegeszug beonnen hatte. Bilder solcher Werke sind aus unserem kollektiven Bewusstsein verschwunden. Kinder können sich nur noch sehr schwer vorstellen, an der Konstruktion von Fahrradnaben teilzuhaben.
    Es wird zwar behauptet, dass die großen Neuerungen und kreativen Ideen immer noch aus dem Westen kommen, doch ich bezweifle, dass es dabei bleiben wird, wenn der Facharbeiter- und Ingenieurmangel weiterhin zunimmt. Die Produktion im Land der Verbraucher hat nicht nur den Vorteil, dass keine Menschen in der Dritten und Zweiten Welt ausgebeutet werden, die Nähe von Herstellungstechnik und Anwendern ist auch die beste Voraussetzung, um im nahen Kundenkontakt Produkte zu verbessern.
    Die Effizienzsteigerung und der günstige Materialeinsatz waren wichtige Voraussetzungen für die Entwicklung unserer Wegwerfgesellschaft, die weder Langlebigkeit als Wert eines Gegenstands mehr schätzt, noch Reparaturen als sinnvoll erachtet. Die aktuelle Repair-Bewegung setzt an diesen neuralgischen Punkten an. Dabei vermengt sich in ihr Konsumkritik mit einer nostalgischen Besinnung auf handgemachte Dinge.

The World in your hands: Packen wir's an!
Eine neue Bewegung
    Die Reparaturbewegung hat viele Kräfte, die sie antreibt; unter ihren jungen Protagonisten spielt auch ein gewisser Retrotrend eine Rolle. Mehr und mehr junge Menschen wollen ihre Musik nicht mehr auf einem CD-Player hören, sondern kaufen sich einen Vinylplattenspieler. Das hat mit Nostalgie zu tun – ebenso gibt es aber auch handfeste Gründe: Ein CD-Player ist extrem schwer zu reparieren, sollte er einmal defekt sein. Bei Vinylplattenspielern sieht dies anders aus. Es ist nicht kinderleicht, sie wieder zum Laufen zu bringen, im Zweifelsfall kann man aber auf Know-how der Generation Ü50 zurückgreifen, die sich noch intensiver mit Elektrogeräten

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