Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Kultur der Reparatur (German Edition)

Die Kultur der Reparatur (German Edition)

Titel: Die Kultur der Reparatur (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang M. Heckl
Vom Netzwerk:
Achtsamkeit mit einem Produkt auseinandersetzt. Kann man es reparieren und recyceln? Ab wann ist es ausentwickelt? Sind marginale Veränderungen wirklich notwendig, wenn sie letzten Endes nur eine weitere umweltressourcenschädigende Nachfrage erzeugen sollen? Es gilt, alles genau abzuwägen. Bildung, Verständnis für die Zusammenhänge von Fortschritt, Wachstum, Wohlstand und Zukunftsfähigkeit sind vonnöten.
    Weil die Industrie uns zur Passivität erziehen will, werden mehr und mehr Dinge verpackt. Das ist deutlich zu beobachten, wenn man sich mit der Geschichte des Industriedesigns beschäftigt. Früheres Design hatte sich zum Ziel gesetzt, beispielsweise Schrauben so anzubringen, dass jeder sie erkennen konnte. Jeder wusste sofort, welche Funktion sie zu erfüllen hatten. Funktionierte die Verstellbarkeit einer Höhensonne, einer Lampe, einer Frisierhaube nicht perfekt, musste man sich nur die Achse genau ansehen, die drei Schrauben entfernen, das Gewinde drehen – und schon war man in der Lage, dem Problem auf den Grund zu gehen.
    Betrachten Sie einmal die Lampe auf Ihrem Schreibtisch: Können Sie da noch eine einzige Schraube erkennen? Oder sind ihre Schrauben so in das gefällige Design integriert wie die an meinem Laptop, so, dass man kaum mehr auf die Idee kommt, dass sie überhaupt noch eine Funktion haben? Selbst die Fachreparaturbetriebe haben mit verklebten Geräten so ihre Schwierigkeiten. Nostalgisch, wie ich bin, habe ich kürzlich, gewissermaßen als Gegenbeispiel, bei einem über 50 Jahre alten Telefunken-Radio eine defekte Verstärkerröhre auswechseln können. Was für eine Freude, als ich diese im Katalog von Bürklin fand und sie einfach kurzfristig und problemlos bestellen konnte. Es handelte sich natürlich um Altbestand, niemand stellt heute mehr solche Radioröhren her.
    Beklagenswert finde ich in diesem Zusammenhang auch, dass heute so gut wie keine Schaltpläne bei technischen Geräten mehr mitgeliefert werden – auch die könnten wertvolle Hinweise auf die Reparaturfähigkeit geben. Zum Design beziehungsweise zur Geschichte von technischen Gerätschaften, aber auch von Kleidung und Möbeln, gehört, dass einst Reparaturmöglichkeiten schon beim Erwerb mitkommuniziert wurden. Zum Beispiel gab es einmal in jedem Katalog des Versandhauses Quelle, das 2009 in die Insolvenz gehen musste, eine Liste mit Adressen und Telefonnummern, die man zu Rate ziehen konnte, wenn eine Näh- oder Waschmaschine defekt war. Rief man sie an, konnte manerfahren, zu welchen Vertragswerkstätten man die Geräte zum Reparieren schicken konnte. Die Reparatur wurde sehr ernst genommen, der Kunde hatte das Gefühl, ein langlebiges Produkt erworben zu haben. Fehler konnten immer auftreten, aber dann gab es Abhilfe.
    Was den Geräten heute ebenfalls nur noch selten beiliegt – und ein weiteres Zeichen für mangelnden Reparaturwillen seitens der Industrie ist –, sind Explosionszeichnungen. Früher fand man die Grafiken, die ein Gerät perspektivisch und in all seine Einzelteile zerlegt zeigten, bei fast jedem neuen Produkt: ein großer Schatz, wenn man verstehen will, wie das Ding im Detail aufgebaut ist und funktioniert. Im Fall meines Fahrrads mit Hilfsmotor ist dies ein zwanzigseitiges Heftchen, in dem jedes Bauteil, jede Schraube und jedes Blech, jedes Kabel und jede Birne auch eine Bestellnummer hat, falls es im Falle eines Defekts der Erneuerung bedurfte.
    Heute finden sich Aufbauanleitungen noch bei Möbeln, sie sollen dazu dienen, dass der Kunde das Bücherregal mit seinen Brettern und Schrauben aus den Einzelteilen auch wirklich zusammengebaut bekommt. Die Explosionszeichnungen, die schon Leonardo da Vinci in überaus ästhetischer Weise gefertigt hat, waren aber nicht nur Bauanleitungen, sondern Teil der Gebrauchsanweisung. In diesem Sinne boten sie auch die Möglichkeit, selbst etwas zu reparieren, weil man sich den inneren Aufbau und die Montage eines Gegenstands genau verdeutlichen konnte. Oft waren die einzelnen Schrauben mit Nummern versehen, sodass man im Zweifelsfall wusste, welche zu bestellen war.
    Als Jugendlicher habe ich die sehr detailliert gestalteten Explosionszeichnungen verschlungen. Sie boten mir die Chance, die Funktionsweise eines Staubsaugers oder Stabmixers zu verstehen, die technischen Fachbegriffe für die einzelnen Teile waren gleich mitgeliefert.
    Bei den heute vorherrschenden glatten, designten Verarbeitungen kommen nur noch wenige auf die Idee, einen Schraubenzieher

Weitere Kostenlose Bücher