Die Kultur der Reparatur (German Edition)
ihrer Funktionsweise genauestens auseinandersetzte.
Als Erstes konsultierte ich meine Bibliothek. Spannend war ein Buch mit dem Titel Der Radio-Amateur „Broadcasting“ aus dem Jahr 1923, in dem es im Kapitel VIII um Röhrenverstärker geht und darum, wie man ein Röhrenradio wieder in Gang setzt. Der Autor, Eugen Nesper, ein Hochfrequenztechniker und Rundfunkpionier, hatte sich bemüht, das Problem verständlich zu formulieren, eindeutig wollte er sich auch interessierten Laien mitteilen.
Moderne Ratgeber dagegen sind oft an Spezialisten gerichtet, man spürt keine unmittelbare Nähe zum Gegenstand mehr, und natürlich ist die behandelte Technik viel komplexer. Kürzlich erwarb ich ein Buch aus einem DDR-Verlag, ein Lehrbuch zur Ausbildung von Juwelieren und Uhrmachern. Als ich in diesem las, konnte ich ohne Schwierigkeiten verstehen, wie eine „Unruh“ funktioniert oder wie man einen Ring weitet. Es war ein ähnliches Erlebnis wie zu meiner Zeit als Student, als ich mir Brehms Tierlexikon von A bis Z kaufte. Ein grandioses Buch.
Zwar steht da nichts drin über die Molekularbiologie eines Kreuzschnabels, aber nirgendwo besser als in diesem Nachschlagewerk fand ich beschrieben, wie man ein Terrarium für Amphibien anlegt – was für mich besonders wichtig wurde, als meine Tochter mit Eidechsen nach Hause kam, die sie zum Brüten bringen wollte.
Ältere Bücher, in denen es um die Bauweise und Reparatur von Technik geht, sind oft wesentlich leichter zu verstehen als die heutigen Reparaturführer. Die Geräte sind natürlich auch meist einfacher. Was ich sagen will: Das Alte ist nicht immer out. Journalisten fragen mich immer wieder, manchmal sogar mit einem leichten Vorwurf in der Stimme: „Was gibt es denn Neues in der Technik, Herr Heckl? Was ist neu in der Nanotechnologie? Was ist ‚the next big thing’ in der Wissenschaft?“ Am liebsten möchte in einem solchen Fall eine Antwort geben, die der in Hannover geborene Astronom und Musiker Wilhelm Herschel (1738–1822) bei einer vergleichbaren Frage gegeben hat.
Herrschel hatte den Planeten Uranus entdeckt und wurde daraufhin zum Mitglied der ehrenhaften Royal Society of London berufen. Finanziell wurde der Forscher von George III., dem damaligen britischen Regenten, unterstützt. Anlässlich einer Audienz bei König George III. fragte der Monarch: „Was gibt es denn Neues, Herschel?“ Die Antwort des Wissenschaftlers soll gelautet haben: „Has His Majesty understood the old stuff yet?“
Wer reparieren will, sollte dies aber nicht nur aus Büchern lernen. Der persönliche Umgang mit anderen Menschen ist beim Reparieren essenziell. Repariert man etwas zusammen, kann jeder von den Erfahrungen des anderen profitieren: „Hey, wie machst du das? Darauf wäre ich nie gekommen ...“ Reparieren wird so zu einem sozialen Event, das sinnvolle Austauschmöglichkeiten von Mensch zu Mensch einschließt. Das beginnt im Grunde schon, wenn ein Schraubenschlüssel zu Boden fällt. Hört man das charakteristische „Kling“, weiß jeder: Der Nachbar liegt wieder unter seinem Motorrad und repariert es. Eine gute Möglichkeit, mal vorbeizuschauen und einen kleinen Schwatz zu halten. Das nachbarschaftliche Gespräch ist in seiner sozialen Funktion nicht zu unterschätzen. Es verhindert, übertrieben gesprochen, den langwierigen Gerichtsprozess über den Apfelbaum, der über den Gartenzaun herüberhängt.
In meiner Bekanntschaft gibt es einen Freundeskreis, der sich wöchentlich zu einem Reparaturabend trifft. Hier wird gefachsimpelt und bei einer – natürlich – guten Flasche Wein jeweils ein Projekt bearbeitet. Vor einiger Zeit war es das defekte Mahlwerk einer Espressomaschine, die zunächst zerlegt wurde, um dann festzustellen, dass ein entscheidendes Bauteil nicht aus Metall, sondern aus wenig strapazierfähigem Plastik hergestellt und daher schon nach kurzer Dauer gebrochen war. Wir fanden nach aufregender Suche ein Ersatzteil bei einem Internethändler und bauten es dann an einem der nächsten Abende ein. Interessant ist die Zusammensetzung der wachsenden Runde, sie besteht nicht nur aus Physikern oder Elektrotechnikern. Mit von der Partie sind Patentanwälte, auch ein Philosoph ist darunter. Frauen sind noch nicht zu uns gestoßen, vielleicht ist das besser, weil sonst die Gefahr des männlichen Besserwissens besteht, das man aus der Schule vom Physik- oder Mathematikunterricht kennt. Da ist unsere Runde noch nicht so weit, aber in den neuen Reparturclubs
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